Die Geschichte der Basilika St. Anna in Altötting
Vorgeschichte
Die größte Kirche Altöttings steht auf dem Grund der Marianischen Männerkongregation. Die vor 100 Jahren erbaute Wallfahrtskirche bedarf jetzt einer Generalsanierung. Die Basilika St. Anna hat eine Jahrhunderte lange Vorgeschichte.
Die Franziskaner unterstützen seit 1653 mit den Chorherren die Jesuiten in der Wallfahrtsseelsorge. In dieser Zeit beginnt für Altötting eine nie dagewesene Blütezeit der Wallfahrt. Zwischen 1666 und 1719 werden nachweislich 22 Millionen hl. Kommunionen ausgeteilt. Die Jesuiten versuchen den steigenden Pilgerzahlen mit der Vergrößerung der Magdalenakirche (1697) und dem Bau des Kongregationssaales (1674) abzuhelfen. Diese Maßnahmen werden den gestiegenen Anforderungen nicht gerecht. So wird eine große Rundkirche über der Heiligen Kapelle geplant. Die Grundmauern, die 1674 gelegt werden, finden sich heute noch im Boden rund um die Gnadenkapelle. Der frühe Tod von Kaiser Karl VII. verhindert den Weiterbau.
Die schlechteren Zeiten, wie die Aufhebung des Jesuitenordens (1773), die Säkularisation (ab 1802) und der spätere Kulturkampf bringen die Wallfahrt zeitweise fast zum Erliegen. Als die Kapuziner auch die Wallfahrtskustodie St. Magdalena übernehmen (1874) und als P. Cyprian Fröhlich Ende des 19. Jahrhunderts die Eisenbahn nach Altötting bringt, werden die Pilgerzahlen der Zeit um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert erreicht. So taucht erneut die Notwendigkeit auf, mit dem gestiegenen Pilgerstrom umzugehen und eine bauliche Lösung zu finden. Es wird der Ruf nach einer neuen Kirche laut.
Ein neuer Kongregationssaal
Gleichzeitig wird der Kongregationssaal der Marianischen Männerkongregation zu klein. Er muss erweitert werden, um mehreren tausend Sodalen eine Versammlung zu ermöglichen. Auslöser ist das Treffen von 2300 Sodalen auf Einladung der Augsburger Kongregation. Für die abendliche Versammlung gibt es keinen geeigneten Saal. Präses P. Oswald Gierl, Kapuziner, bringt es auf den Punkt: “Die Marianische Männerkongregation wird daran gehen, einen Saal zu bauen, der allenfalls 4–5000 Personen fasst, um dort auch Versammlungen zu ermöglichen, die gerade nicht rein religiösen Charakter haben, aber immerhin mit der Würde eines Wallfahrtsortes in Einklang stehen.” (Kongregationsblatt, Juli 1908).
Am 21. Oktober 1903 stimmt der Marianische Rat für einen Saalneubau. Als mögliche Standorte kommen in Frage: Das Grundstück zwischen der Trostberger- und Schlotthamerstraße und an der Neuöttingerstraße gegenüber dem Franziskushaus. Ersteres wird bevorzugt und gekauft. Wegen rechtlicher Probleme muss die Männerkongregation den Erwerb gerichtlich durchsetzen. Parallel zu den Planungen laufen die Sammlungen für den Saalneubau in Form des Saalbau-Opfers, und zugleich laufen Proteste der Bevölkerung Altöttings aus Angst vor der Umwälzung des Geschäftslebens in der Stadt. So werden Ersatzvorschläge eingebracht:
- Ein neuer Saal im Renaissancestil anstelle des alten Saals mit darunter eingelagerten Verkaufsflächen
- Die Erweiterung des Panoramas (erbaut 1903) zu einem großen Saal
- Ein neuer Saal im Garten der Wallfahrtskustodie mit einer zehn Meter breiten Zufahrtsstraße. Dieser Plan wird vom Bischof verworfen, der für den Bau einer neuen Kirche plädiert
- Die Vergrößerung des Kongregationssaales
- Die Vergrößerung der Magdalenakirche
- Ein Saalbau an der Stelle des heutigen Rathauses
Wegen der verschiedenen Hindernisse berät der Marianische Rat ernsthaft erst wieder im Mai 1908 und spricht sich für den Bau eines Saales aus mit der Möglichkeit, darin Gottesdienste zu feiern. Zugleich werden immer mehr Stimmen laut, auch von Seiten des Klerus, der “die Ansicht vertrat, in Altötting, wo im Sommer so viele Pilgerzüge sich einfänden, sei nicht ein Kongregationssaal, als vielmehr eine große Wallfahrtskirche notwendig, welche die Pilger alle zu fassen vermöge und so die Stiftskirche als Pfarrkirche entlaste” (Kongregationsblatt Januar 1909). Die Kongregation beharrt weiterhin auf einem Saalneubau und rückt den Standort an der Schlotthamerstraße wieder ins Blickfeld.
Die Entscheidung
Die Kongregation ist sich uneins. Der Druck, eine neue Wallfahrtskirche zu errichten, wird größer. Wenn es dazu kommen soll, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Die königliche Kapellstiftung baut die Kirche aus ihren Mitteln und den Opfergaben der Gläubigen und bleibt Besitzer und Unterhalter der neuen Kirche. Oder eines der Klöster erbaut die angedachte Kirche. So kommt nur das Kapuzinerkloster St. Anna in Betracht. Die maßgebenden Kreise wenden sich im August 1908 an die Provinzleitung der Bayerischen Kapuziner. Nach einem Schreiben des Bischofs von Passau Sigismund Felix erklärt sich die Provinzleitung bereit, eine neue Kirche zu bauen.
Der Guardian des St. Anna-Klosters, P. Joseph Anton Keßler, wird mit den nötigen Schritten beauftragt. Offensichtlich ist er ein kluger, überzeugender Diplomat. So legt er der Marianischen Kongregation in der Sitzung am 6. Dezember 1908 einen Antrag zu einem gemeinsamen Kirchenbau vor. Der Rat stimmt dem Antrag des Guardians zu. Eine äußerst engagierte Rede des zukünftigen Bauherrn vom 7. Februar 1909 ist im Druck erschienen: Darin nennt er das Wort des Passauer Bischofs als Anstoß, “der dem Baugedanken bestimmte Richtung und Wachstum gab.” Er führt die Gründe für den Bau aus und wie die Ausführung gedacht ist.
P. Joseph Anton vergleicht das Bauvorhaben mit dem Bau der St. Anton-Kirche in München, der mit drei Mark begonnen worden war. “Wir in Altötting sind etwas glücklicher. Hier ist der Ort der Marianischen Kongregation. Insbesondere ihrem Präses, Präfekten und Rat ist zu danken für den hochherzigen Beschluss in jener Sitzung vom 6. Dez. v. J., wodurch die für den Saalbau geflossenen beträchtlichen Opfer für diesen Kirchenbau zur Verfügung gestellt wurden.” Der Kongregation wird das Nutzungsrecht der neuen Kirche zugestanden, ebenso wird ihr “das Eigentumsrecht über Platz und Neubau eingeräumt.” (Warum eine neue Kirche in Altötting? Rede d. P. Joseph Anton Keßler, 7. Febr. 1909, S. 21f).
Überdeutlich drückt es das “Gedenkblatt zur Konsekrationsfeier am 13. Oktober 1912” (S. 6) aus: “Die Marianische Männerkongregation, welche juristische Persönlichkeit besitzt, war das Werkzeug der göttlichen Vorsehung und erklärte sich bereit, zum Erwerb des Baugrundes eine entsprechende Summe zur Verfügung zu stellen und das Eigentumsrecht des Platzes und der darauf zu erbauenden Kirche zu übernehmen. Hatte sie doch gerade in der neuen Kirche auch für ihre Hauptfeste ein Gotteshaus, das die glänzende Begehung von Kongregationsfesten sicher stellte. Durch die hochherzige Spende hat sich die Kongregation ein besonderes Verdienst um Altötting und die Wallfahrt erworben, wofür ihr noch die kommenden Geschlechter dankbar sein werden.”
Die Vision
P. Joseph Anton ist von der realen Vorstellung getragen, die sich auf die unzähligen Menschen bezieht, “die auf diesem Wege hierher kommen werden zum altehrwürdigen Wallfahrtsorte, um da Ruhe zu suchen für ihre Seelen, geistige Nahrung in den Sakramenten, mit andern Worten: die Hundertausende von Wallfahrern, die in der neu erstandenen Kirche beichten und kommunizieren werden und dort den Frieden und Erhörung ihrer Anliegen finden” (Rede, 7. Febr. 1909, S. 5).
Die Finanzierung
P. Joseph Anton wird als “Bauherr” aufgestellt. Das Bauvorhaben bleibt eine gewaltige Anstrengung. Zur Vorbereitung des Baus gehört wesentlich die Frage der Baufinanzierung. Den Grundstock legt die Marianische Kongregation. Im Kongregationsblatt vom Januar 1909 lesen wir: “Die Kongregation erklärt sich bereit, die für den Bau eines Kongregationssaales gesammelten Gelder an das Kapuzinerkloster St. Anna für den Bau einer neuen Klosterkirche abzugeben, unter Vorbehalt des Rechtes der Benutzung der Kirche für ihre Zwecke.”
Das Geld reicht aber nur für den Anfang und nicht für den gesamten gewaltigen Kirchenbau. Die Kapuziner, die sich zum Bauen bereit erklärt haben, um deren Kirche es sich folglich handelt, können als Bettelorden die finanzielle Last nicht tragen. Es wird entschieden, den Bau hauptsächlich aus Spenden zu finanzieren. Es klingt erstaunlich, was im Gedenkblatt zur Konsekrationsfeier steht: “Der Baufond zur neuen Annakirche sollte die Liebe des Bayerischen Volkes zu seiner Patronin in Altötting sein” (S. 7).
Die Hoffnung des Bischofs von Passau und der Kapuziner ist es, dass die Mittel durch die vielen Wallfahrer in zwei bis drei Jahren zusammen kommen. Das Opfer für den Kirchenbau bleibt aber zunächst weit hinter den Erwartungen zurück. Viele Wallfahrer glauben, die Opfergaben, die sie in der Gnadenkapelle spenden, würden zumindest teilweise für den Kirchenbau verwendet. Dem ist aber nicht so. Andere glauben dem Gerücht, die Mittel seien schon ausreichend beisammen. Richtig ist, dass die Beschaffung der Geldmittel die größte Sorge für den Bauherrn weit über die Bauzeit hinaus bleibt. Deshalb erscheinen viele Spendenaufrufe, sogenannte Kirchbaubriefe, in Zeitungen, ebenso im Kongregationsblatt: “Freunde und Gönner der Wallfahrtsstätte Altötting! Wenn ihr diesen Aufruf leset, erinnert euch an die hl. Andachtsstunden, die ihr dort erlebt, – an die Gnaden, die ihr dort erlangt habt. In Dankbarkeit dafür öffnet Herz und Hand! Spendet selbst! Gewinnet uns neue Gönner, betet für das Gelingen des hl. Unternehmens! …”
Zu den Spendern zählten in erster Linie die Sodalen der Männerkongregation, die kleinen Leute bis hin zum Protektor des Baus, Prinz Ludwig von Bayern, dem späteren König Ludwig III., dem regierenden Prinzregenten Luitpold bis hin zum Bischof von Passau Sigismund Felix von Ow.
Es besteht also kein sichtbarer Baufond. Trotzdem wird die Genehmigung erteilt, d. h. ohne den gesetzlich erforderlichen Nachweis eines ausreichenden Baukapitals. Die Kapuziner verlieren das Vertrauen in Gott und in gute Menschen nicht und glauben an das Gelingen des Unternehmens. Aus diesem Grund übernehmen sie auch die Unterhaltskosten und die Baulast des geplanten Bauwerkes.
Der Weg der Finanzierung ist soweit geklärt. Die Kapuziner als Bettelorden dürfen aber nicht als Grundeigentümer zeichnen, damit auch nicht als Eigentümer des Gebäudes. Die Marianische Männerkogregation als Rechtsperson tritt als der Grundeigentümer auch als Eigentümer der neuen Kirche auf. Am 27. November 1908 erwirbt die Kongregation das Grundstück. Die landesherrliche Genehmigung des Ankaufs wird am 10. Februar 1909 erteilt.
Die Planung der Kirche – Baupläne
Für die konkreten Baupläne spielen zwei Fragen eine entscheidende Rolle: Wenn die neue Kirche eine einfache und schlichte, aber große und geräumige Kapuzinerkirche werden soll, sind die Pläne schnell entworfen. Wenn aber die Kirche nach ihrem Erscheinungsbild das Nationalheiligtum repräsentieren und vom Raum her den starken Bedürfnissen der Wallfahrer für die weitere Zukunft Rechnung tragen soll, dann muss aufwendiger geplant werden. Ausschlaggebend ist die Meinung Prinz Ludwigs. Am 31. Januar 1909 übernimmt er das Protektorat über das Projekt.
Als Architekt wird der Hausarchitekt des Ordinariates Passau gewählt. Johann Baptist Schott (1853–1913) führt seit 1879 fast alle sakralen Bauten in der Diözese aus. Die Basilika sollte als sein größtes Werk sein Schaffen krönen und zugleich beenden.
Schott fertigt drei verschiedene Pläne. Die beiden ersten geraten zu groß bzw. zu klein. Der mittlere Plan wird am 25. September 1909 vorgelegt. Er scheint in der Größe angemessen und ausführbar. Er zeigt eine Basilika in Kreuzform. Der Eindruck des Kreuzes entsteht durch die Sakristei und die Kapelle der Schmerzhaften Gottesmutter. Die Länge soll 83 m sein, die Breite 27,50 m, die Vorderfront 37 m hoch, die innere Höhe bis zum Gewölbe 24 m, die Höhe bis zum Dachfirst 37 m und bis zur Turmspitze 57 m.
Im Innenraum sollen Strebepfeiler das mächtige Tonnengewölbe tragen. An den beiden Seiten des Kirchenschiffes sollten jeweils sechs Kapellen entstehen, darüber eine Galerie, die mehrere hundert Menschen aufnehmen kann. Das Fassungsvermögen der Kirche ist angelegt auf mindestens 6000 Personen, nötigenfalls auf bis zu 10.000 Menschen. Die Vorderfront der Kirche schaut direkt in Richtung Gnadenkapelle und Kapellplatz. Deshalb muss fast notgedrungen eine imposante Gestaltung vorgesehen werden.
Hier taucht eine sonderbare, kaum glaubhafte Erscheinung auf. Noch bevor die ersten Pläne veröffentlicht werden, protestiert die Altöttinger Bevölkerung immer wieder durch anonym verfasste Rundschreiben gegen das Bauprojekt. Der Bauherr, P. Joseph Anton Keßler, hält im Gegenzug eine flammende Predigt, die in gedruckter Form erschienen ist: “Warum eine neue Kirche in Altötting?” Der Widerstand zieht Kreise bis ins Frankenland. Vor allem die beim Staatsministerium beantragte Landeskollekte für den Bau gerät unter Beschuß, weil es sich bei Altötting lediglich um ein altbayerisches Heiligtum handle. Vor allem gegen den ersten Plan einer Kirche von 100 m Länge und 32 m Breite regen sich die größten Widerstände, auch von Kapuzinerseite, so dass die Provinzleitung der Bayerischen Kapuziner und der Bischof von Passau eingreifen. Bauherr und Guardian P. Joseph Anton Keßler teilt am 5. Juli 1909 mit, dass der große Plan von 100 m aufgegeben wird.
Baugeschichte
Nachdem diese ersten großen Schwierigkeiten durchgestanden sind, kann man mit dem Bau beginnen. Am 30. Mai 1910 erfolgt der erste historische Spatenstich. Um 8.00 Uhr wird ein feierliches Bittamt gehalten. Danach ziehen Klerus und Volk in Prozession zum Bauplatz, wobei alle Heiligen angerufen werden. Baumeister Simon Lehner hält eine Festrede, währenddessen der Provinzial drei Kreuze erhebt. Es folgt ein Hoch auf den Beschützer des Baus, Seine Königliche Hoheit Prinz Ludwig. Die Königshymne wird gesungen. Die Kapuziner schreiten den Bauplatz ab und besprengen ihn mit Weihwasser. Alle ziehen in die Klosterkirche St. Anna, rufen die heilige Anna an und empfangen den Schlusssegen.
Nach dem Spatenstich wird in den folgenden Monaten der Bauplatz fertiggestellt. Unter anderem werden ein Bauernhof, ein Teil der Klostergartenmauer, der Schweinestall und das Gewächshaus zusammen mit der Kapuziner-Rekreation abgebrochen. Das Chorhaus und das Franziskanergästehaus bleiben verschont. Eine riesige Kantine für die Verpflegung der Arbeiter wird errichtet, ebenso eine Rollbahn, eine Feldschmiede und das Schnurgerüst. Ein meist zwischen 60 bis 80 Mann starker Bautrupp ist ständig am Werk, um diese Infrastruktur zu schaffen.
Die Fundamente für die zu errichtende Kirche werden innerhalb von drei Monaten ausgehoben. Die bis zu drei Meter starken Mauerfundamente verschlingen etwa 3000 Kubikmeter Beton. Die modernsten Baumaschinen kommen zum Einsatz. So geht der Baufortschritt rasch voran.
Grundsteinlegung
Bereits am 28. August 1910, nach weniger als drei Monaten, kann die Grundsteinlegung gefeiert werden. War schon der erste Spatenstich eine Feierlichkeit, so wird die Feier der Grundsteinlegung zu einem fulminanten Festakt. Bereits am Tag davor, am Samstag, den 27. August, wird unter Beteiligung der beiden Kapuzinerklöster, der Bauleitung, der Vorstandschaft der Männerkongregation und der Bauarbeiter an der Stelle des künftigen Hochaltars ein riesiges Kreuz errichtet (Kongregationsblatt, Okt. 1910, S. 152). Am Sonntag erreicht schon vor 9 Uhr ein Sonderzug aus München mit unzähligen Wallfahrern den Gnadenort. Um 8.45 Uhr wird der Festzug aufgestellt. Eine halbe Stunde später bewegt er sich von der Klosterkirche St. Anna zum Bauplatz. Fanfarenbläser werden gefolgt von Kindern mit den notwendigen Werkzeugen und den Gegenständen, die in den Grundstein eingelegt werden. Einige Arbeiter tragen den geschmückten Grundstein. Weiß gekleidete Mädchen und Jungen mit Fahnen begleiten ihn. Es folgt die Schuljugend und Kinder des Seraphischen Liebeswerkes. Arbeiter tragen das Kirchenmodell, gefolgt von Ordensklerikern und Kapuzinern mit ihrem Provinzial. Es schließen sich viele Beamte und Adelige an, dann fast dreißig Vereine und die vielen Arbeiter. Schließlich reiht sich Sigismund Felix von Ow, Bischof von Passau, ein.
Inzwischen erreicht Seine Königliche Hoheit Prinz Ludwig von Bayern mit einem Sonderzug Altötting und wird an der Gnadenkapelle von den kirchlichen und weltlichen Behörden und vom Adel empfangen. Er zieht durch das Spalier zum Bauplatz. Zur Segnung von Wasser, Bauplatz und Grundstein wird die Allerheiligenlitanei gebetet. Es wird die Urkunde im Wortlaut verlesen, die in den Grundstein eingelegt wird. Der Grundstein wird eingesetzt. Einige Pergamenturkunden, die von den anwesenden Honoratioren unterschrieben sind, verschiedene Medaillen wie von Papst Pius X., von verschiedenen Kardinälen, von Prinzregent Luitpold, der Prinzen Ludwig und Alphons, vom Bischof von Passau und weiteren Persönlichkeiten werden eingelegt und der Grundstein verschlossen. Anschließend vollziehen die anwesenden Herrschaften dem Rang nach mit einem silbernen Hammer die üblichen Schläge; nach Prinz Ludwig und dem Bischof von Passau tun dies weitere Ehrengäste. Der Bischof schreitet die Fundamente ab und besprengt sie mit Weihwasser. Nach Anrufung des Heiligen Geistes und dem Schlussgebet hält der Bischof eine kurze Ansprache. Vor einem Loblied auf Seine Königliche Hoheit Prinz Ludwig geht er auf die Bedeutung der Kirche ein. Unter anderem führt er aus:
“Der Zweck dieser Kirche ist ja ein überaus erhabener. Sie soll es ermöglichen, den Segen des Wallfahrtsortes und der Wallfahrt den Pilgern in reichem Maße zuzuwenden durch feierliche, erhebende Gottesdienste, durch geordneten Sakramentenempfang. Damit erfüllen sie die Absichten Gottes, der zu allen Zeiten besondere Gnadenstätten sich erwählt. In Altötting möchte Niemand den geistigen Gewinn, den Frieden für die Seele missen, der an dieser uralten Gnadenstätte so überreich in die Herzen strömt durch Gebet in der Gnadenkapelle, durch Beicht und Kommunion. Diesen Segen in vollem Maße zu erlangen, allen zu ermöglichen – dazu soll diese Kirche erbaut werden.” (Gedenkblatt der Konsekrationsfeier, S. 14)
Nach dem bischöflichen Segen beginnt um 10.00 Uhr die erste heilige Messe an der zukünftigen Gebetsstätte. Anschließend wird Prinz Ludwig vor dem Kloster in gebührender Weise geehrt. Beim Festmahl im Refektorium des St. Annaklosters hält er eine ergreifende Tischrede. Dabei dankt er Gott und seinen Eltern, “dass er in der wahren, katholischen Religion geboren und erzogen sei, zum friedlichen Zusammenleben mit Andersdenkenden mahnte und zu wahrer, inniger Verehrung der Gnadenmutter ermunterte” (a.a.O., S. 14).
Um 14.00 Uhr geht ein Festzug von der St. Annakirche mit dem Allerheiligsten zum Bauplatz. P. Angelikus hält eine sehr eindringliche Predigt. Er geht davon aus, dass, “wenn Gott will”, in zwei Jahren die Kirchweih stattfinden kann. Er erinnert an den Ordensstifter, den hl. Franziskus von Assisi, der selber Hand anlegte beim Kirchenbau. Es wäre für Altötting eine große Ehre, wenn seine Nachfolger das achte Jahrhundert des Bestehens des Franziskanerordens mit diesem Bauwerk sozusagen einläuten würden. Der Prediger dankt dem Bischof für die Weihe des Grundsteins. Er verweist auf den Eckstein Jesus Christus, der der Grundstein für das Heil aller geworden ist. “Durch den Bischof mit dem Papste verbunden stehen wir mit Christus in innigstem Verbande, und es ist uns heute wieder mehr als sonst ins Bewusstsein gekommen, daß auch wir selbst Tempel Gottes, Wohnstätten des heiligen Geistes sind und sein sollen” (a.a.O. S. 14f).
Neben dem großen Dank für das bisher Geschehene bittet er alle Anwesenden und Wohltäter weiterhin um tatkräftige Spenden. Er wendet sich zuerst an die Männerwelt, und da wieder in erster Linie an die Mitglieder der Marianischen Männerkongregation. Er appelliert an ihre Ehre und malt die Vision vor ihr geistiges Auge, dass vielleicht einmal 6000 Menschen das Salve Regina singen und die Königin und Mutter der Barmherzigkeit grüßen, so wie Tausende rufen werden: Heilige Mutter Anna, bitt‚ für uns im Leben und verlass uns nicht im Sterben. Die Wohltaten zum Kirchenbau wird Gott vergelten. Gegen Ende der Predigt wiederholt er die Segensworte des Bischofs für den Grundstein: “Segne, o Herr, diesen von Dir geschaffenen Stein und verleihe durch Anrufung Deines heiligen Namens, dass, wer immer zum Bau dieser Kirche in guter Absicht Hilfe leisten wird, die Gesundheit des Leibes und das Heil der Seele erlangen möge, durch Christus, unseren Herrn” (a. a. O. S. 18).
An die Predigt schließt sich bei herrlichem Sonnenschein eine eucharistische Andacht. Damit endet die feierliche Grundsteinlegung.
Baufortschritt
Der Spätsommer und Herbst bringen sehr günstige Witterung, so dass der Bau sehr gut voranschreitet. Fast bis zum Jahresende 1910 kann gebaut werden. Es werden täglich etwa 14.000 Backsteine gesetzt. Die Wallfahrer besichtigen mit steigendem Interesse das in die Höhe wachsende Bauwerk. Als Ende 1910 wegen des Wintereinbruchs die Arbeiten eingestellt werden müssen, hat der Bau bereits eine Höhe von sieben Metern.
Ende März 1911 können die Arbeiten fortgesetzt werden. Die vielen benötigten Bausteine liefern die Ziegeleien Rammelsberg in der Osterwiese bei Altötting, Huber & Schwarz von Kastl und Friedl aus Lindach bei Burghausen. So wird die Kirche in gewaltigen Schritten in die Höhe gezogen. Der trockene und heiße Sommer 1911 tut das Seine dazu. Er begünstigt den Baufortschritt enorm. So kann genau ein Jahr nach der Grundsteinlegung am 28. August 1911 die Firstfeier abgehalten werden.
Baukosten – Kirchenbaubriefe
Das Unternehmen Basilika wird in erster Linie durch Spenden finanziert. Die Marianische Männerkongregation gibt das gesamte Geld, das sie für den Bau eines neuen Saales gesammelt hat. Der finanzielle Grundstock reicht nicht aus für die Durchführung des gesamten Projektes. Deshalb folgen in den Jahren des Baues und auch nachher noch viele Jahre Spendenaufrufe an die Bevölkerung.
In den Baujahren sind die Baubriefe entscheidend. Sie erscheinen im Sodalenblatt der Marianischen Männerkongregation. Verfasser war nicht der Bauherr P. Joseph Anton, sondern der Kapuziner P. Angelikus Eberl. Von Juli 1910 bis März 1911 verfasst er neun Kirchenbaubriefe. Leider stirbt der Verfasser am 23. Februar 1911. Und leider übernimmt niemand seine Nachfolge als Schreiber. In der Aprilausgabe des Sodalenblattes erscheint nur ein kurzer Bericht über ihn.
Diese Briefe haben zwei verschiedene Zwecke. Sie rufen zu weiteren Spenden auf. Zugleich dienen sie als Informationsblatt für die Gönner der Kirche. Die Briefe sind auch so etwas wie ein Bautagebuch, das die Fortschritte am Bau beschreibt. P. Angelikus arbeitet mit einem literarischen Kunstgriff. Er schreibt an eine wahrscheinlich erfundene Person namens Balthes, Mitglied der Kongregation. Mit ihm führt er einen scheinbar regen Briefwechsel. Der Schreiber lädt Balthes zu den verschiedenen Feierlichkeiten der Kirche ein wie Grundsteinlegung oder Firstfeier. Weil der Adressat aber selten kommen kann, erzählt er ihm von den Festivitäten. Damit erfahren auch die Sodalen, die nicht nach Altötting reisen können, was dort geschieht. Der Briefschreiber stellt wichtige Personen vor und bittet um Spenden. Es werden nicht nur Geldspenden erbeten, sondern auch Sachspenden.
Die Spender erhalten Ansichtskarten oder Gebetsversprechen. So heißt es z. B. im 4. Kirchenbaubrief: “Gesundheit des Leibes sollen die erlangen als Lohn, die den Kirchenbau fördern durch gute Gaben, und – Du hast Dir den Fuß ´brochen! (…) Da haben wir ja das beste Pflaster für den Beinbruch: Es ist ein blauer Lappe, auf dem “100 Mark” steht; noch wirksamer wäre einer mit der Aufschrift ´1000 Mark´ “ (Kongregationsblatt, Oktober 1910, S. 153).
Auf den Kapuzinern, die keinerlei Besitz haben, ruhen damals die Lasten der enormen Baukosten, die weit über die Einweihung 1912 hinaus reichen.
Hebebaumfeier (Firstfeier) und Baufortschritt
Genau ein Jahr nach der Grundsteinlegung kann am 28. August 1911 bereits die Firstfeier abgehalten werden. Sie verläuft einfacher wie die Grundsteinlegung, aber in einem würdigen und schönen Rahmen.
Die Firstfeier beginnt mit einem Festgottesdienst in der Klosterkirche St. Anna mit dem Provinzial der Kapuziner, P. Augustin Maria, als Zelebranten. Der Festzug bewegt sich anschließend zum Rohbau der neuen Kirche. Dort hält der Bauherr P. Joseph Anton Keßler eine dem Anlass angemessene Ansprache vor den versammelten Festgästen. In groben Zügen beschreibt er die Baugeschichte, er dankt Gott für seinen sichtbaren Schutz und Segen und für die durch die göttliche Vorsehung erweckten Wohltäter. Er gedenkt der verstorbenen Gönner und bedankt sich bei allen anwesenden und abwesenden Unterstützern von Herzen und bittet darum, das Unternehmen weiterhin wohlwollend zu unterstützen.
Der Protektor des Baues, Prinz Ludwig, hat ein Schreiben mit folgendem Inhalt gesandt. “Mit Vergnügen haben Se. Kgl. Hoheit vernommen, daß morgen Firstbaumfeier stattfinden kann. Von Herzen wünschen Se. Kgl. Hoheit baldige Vollendung des großen Werkes.” Nach dem Hebeweinspruch des Baumeisters schließt die Königshymne die Feier.
Am 8. November 1911 stiftet Se. Kgl. Hoheit, Prinzregent Luitpold, den Hochaltar für die neue Kirche. Einige Tage danach läßt er sich durch den Bauherrn, den er zum Essen eingeladen hat, eingehend über die Baufortschritte informieren. (vgl. Gedenkblatt zur Konsekrationsfeier, s. 20f)
Sachspenden sind zuerst und vor allem bis zum Hochziehen des Baues notwendig. Bauholz wird auch weiterhin gebraucht. Geldspenden sind nicht nur willkommen, sondern laufend erforderlich. Namentlich genannt sind 75 Ortschaften im weiten Umkreis, die durch Geld- und Sachspenden den Basilikabau ermöglichen. Auch 1911, also vor 100 Jahren, kann dank des milden Winters lange weitergebaut werden. Die fleißigen Arbeiter vollenden bis zum Frühjahr 1912 das gewaltige Tonnengewölbe. Ende März 1912 wird im Innern der Kirche mit den Verputz- und Stuckarbeiten begonnen (vgl. Gedenkblatt zur Konsekrationsfeier, s. 21)
Himmlische Hilfe durch Bruder Konrad
Ständig plagt den Bauherrn P. Joseph Anton Keßler die Frage der Baufinanzierung. Bereits im Frühjahr 1911 hat sich Folgenschweres ereignet. Die “Märkische Volks-Zeitung, Tageszeitung für die Reichshauptstadt, die Mark Brandenburg und Pommern, Berlin, Donnerstag, 22. November 1934” veröffentlicht einen Bericht, zusätzlich einen Sonderdruck zu Ehren Bruder Konrads. “Die Weltstadt ehrt den Klosterpförtner von Altötting” im gefüllten Sportpalast. P. Joseph Anton referiert hier am 21. November 1934 “über das Werden und Reifen des neuen deutschen Heiligen”. Dabei erzählt er von seiner Erfahrung mit Bruder Konrad:
“Zur Ehre der Altäre erhoben. Die Vorsehung Gottes benutzte zur Erreichung ihres Zieles einen scheinbar geringfügigen Anlaß. In Altötting sollte eine große Wallfahrtsbasilika gebaut werden. Nachdem verschiedene Versuche gescheitert waren, erhielt ich im Jahre 1908 den Auftrag, die Kirche zu bauen. Es erhoben sich aber solche Schwierigkeiten, daß auch dieses Projekt unausführbar erschien. Eines Tages begegnete mir eine einfache, schlichte Person und sagte zu mir in treuherziger bajuwarischer Art: “Du hast einen drunten in der Gruft, der hilft dir schon, das ist der Bruder Konrad, zu dem mußt du gehen.”
Von dieser Stunde an stieg ich jeden Tag hinab in die Gruft und betete an seinem Grabe. Von da an wurden alle Schwierigkeiten leicht überwunden. Der Kirchenbau verschlang viel Geld. Am 17. Todestag, d. h. am 21. April 1911, sagte ich beim Besuch in der Gruft: “Bruder Konrad, ich brauche Geld. Schick mir heute 1000 Mark, wenn du ein Heili- ger bist!” Und siehe, am Mittag brachte mir ein Mann die gewünschte Summe. Ich schloß mit dem Verstorbenen einen Vertrag: Wenn Du mir hilfst, die Kirche bauen, werde ich deinen Seligsprechungsprozeß führen. Bruder Konrad half. Nun mußte auch der Guardian sein Wort halten und den Seligsprechungsprozeß leiten.”
In seinen weiteren Ausführungen beschreibt P. Joseph Anton, wie langwierig und umfangreich die Arbeiten sind, die einer Selig- und Heiligsprechung vorausgehen.
Baufortschritte ab Frühjahr 1912
Im Frühjahr 1912 wird das mächtige Tonnengewölbe vollendet. Ende März 1912 wird mit den Verputz- und Stuckarbeiten begonnen. Das „Gedenkblatt zur Konsekrationsfeier am 13. Oktober 1912“ nennt den 27. April als den Tag, an dem auf dem Frontgiebel das Kreuz aufgerichtet wird. Am Tag danach, am 28. April, dem Schutzfest des hl. Josef, um 11.00 Uhr werden die Glocken durch Provinzial P. Augustin vor dem Eingang ins Kapuzinerkloster St Anna feierlich geweiht. Die Männerkongregation feiert gerade ihr zweites Hauptfest. Das ergibt einen festlichen Rahmen für die Glockenweihe, und das Fest der Männer hat einen einmaligen liturgischen Höhepunkt. Die zwei Glocken sind für den kleinen, immerhin 14 Meter den First überragenden Turm vorgesehen. Sie werden auf die Namen St. Joachim und St. Josef getauft.
Bei der Glockenweihe 1912 hält P. Joseph Anton als Bauherr eine kurze Predigt. Darin erklärt er, welche Beziehung diese Namen zur neuen Kirche haben, was Glocken bedeuten und wie sie in die wichtigsten Ereignisse des christlichen Lebens von der Taufe bis zum Grab hinein sprechen. Ein Fräulein Maria Kaiser aus München hat die beiden Glocken gestiftet. Sie stamen aus der Glockengießerei Gg. Wolfart aus Lauingen a. d. Donau. Am Tag nach der Weihe, am 29. April um 17.00 Uhr werden die Glocken auf den Turm gezogen. Das Aufziehen der Glocken in den Turm erweist sich als „etwas schwierig“.
Die beiden Glocken hängen bis in den 2. Weltkrieg. Während der Kriegszeit müssen sie für Kriegszwecke abgeliefert werden. Relativ bald nach dem 2. Weltkrieg starten die Kapuziner den aufgrund von Materialmangel schwierigen Versuch, zwei neue Glocken zu beschaffen. Dazu müssen sie in den wirtschaftlich schwierigen Nachkriegsjahren eine ganze Liste von Material selber besorgen und liefern, damit es zu einem Glockenguß kommen kann. Bereits 1949 kann die Firma Johann Hahn aus Landshut zwei neue Glocken gießen. Sie sind mit jeweils 100 kg schwerer als die Vorgänger. Die Tradition der „Ahnherrn Christi“ wird mit den neuen Patronen „Mutter Anna“ und „Bruder Konrad“ verlassen. Am 9. August 1949 holt Guardian P. Edgar sie mit einem Lastwagen persönlich ab. Am Mittwoch, 10. August 1949, weiht P. Provinzial Felix Maria mit Erlaubnis des Bischofs von Passau abends um 20.00 Uhr das neue Geläute. Ein Kapuzinerchor tritt in Aktion.
Aufgezogen werden die Glocken am 11. August. Nach der Montierung läuten sie zum ersten Mal an Mariä Himmelfahrt 1949. Die Klosterchronik bemerkt dazu: „Beide Glocken sind genau 11/16 übernormal wie aus der Büchse getroffen, so dass die beiden Glocken ideal im Intervall der Kleinterz, dem Lieblichsten, was Glockenmusik überhaupt zu bieten vermag, zusammentönen. Sie werden auch mit den Glocken der Stiftskirche nicht in Konflikt kommen.“
Für den Turm oder Dachreiter ist eine Nachbildung der „Muttergottes von Altötting“ vorgesehen. Sie wird von Frau Barbara Sporer aus München gestiftet. Ihr Ehemann. Lorenz Sporer, hat die Figur nach dem Modell des Bildhausers Sebastian Osterrieder in Kupferblech getrieben. Die Kolossalstatue trifft Ende Juni ein. Am 30. Juni 1912 wird das große Abbild vor die Gnadenkapelle gebracht. Stadtpfarrer Franz Xaver Konrad berührt sie mi dem Gnadenbild. Der Provinzial der Kapuziner, P. Augustin von Malgersdorf nimmt die Segnung des Bildes vor. Anschließend wird die Statue in die neue Kirche übertragen. Am Mittwoch darauf, am 3. Juli um 12.00 Uhr erfolgt die Aufstellung auf die Spitze des Turmes, was sich als noch schwieriger erweist wie das Aufziehen der Glocken. Seitdem überragt das Bild der Muttergottes die Dächer Altöttings und schaut auf die bayerischen Lande hinaus mit dem passenden Namen „Muttergottes von der Schutzwache“.
Diesen Vorgang verrät eine Schatulle aus Kupferblech, die in der Muttergottesstatue eingebracht ist. Sie enthält Dokumente aus der Zeit der Aufstellung der Figur und nach einer ersten Öffnung 1981 Zeitdokumente aus diesem Jahr. Am 4. Juli 2012 wird eine neue Schautelle aus Edelstahl, versehen mit Dokumenten aus unserer Zeit, durch Goldschmied Christian Pöllner und Br. Georg Greimel in die Muttergottesstatue eingebracht.
Die Einweihungsfeier am 13. Oktober 1912
Um die feierliche Einweihung noch im Oktober abhalten zu können, arbeitet man im Akkord. Die Innenausstattung kann trotzdem in so kurzer Zeit nicht ganz vervollständigt werden. Erst 1917 sollte die Einrichtung abgeschlossen sein.
Was aber vielen wie ein Wunder erscheint, wird tatsächlich möglich. Am 13. Oktober 1912 kann die Einweihung gefeiert werden. Die Vorbereitung der Feierlichkeiten verlangt das Zusammenwirken aller verfügbaren Kräfte. Die Feier aber belohnt alle, die am Bau beteiligt gewesen sind. Am Weihetag können die zahlreich angereisten Leute den Kirchenbau bewundern. Nicht nur aus Altötting und dem Umland, sondern aus ganz Bayern kommen die Leute, die Einweihung miterleben wollen. Die neue Kirche hat in ihrer imposanten Gestalt folgende Ausmaße: 83 m lang, 27,5 m breit, Höhe der Vorderfront 37 m, Höhe im Inneren 24 m, Höhe bis zum Dachfirst 39 m und bis zur Turmspitze 57 m. Der Innenraum umfasst 2100 qm. Die Angaben für das Fassungsvermögen schwanken zwischen 6000 und 8000 Personen.
Guardian und Bauleiter P. Joseph Anton Keßler hat die ganze Bevölkerung zur feierlichen Einweihung eingeladen. Über 100 Vereine kommen und „ungezählte Scharen sonstiger Gläubigen, es waren nicht Neugierige und Schaulustige, es waren echte Bayern und treue Verehrer der Patrona Bavariae.“ (S. 22). Es werden an die 12.000 Teilnehmer gewesen sein. Der Adel ist gut vertreten, angefangen beim Protektor des Baues Prinz Ludwig, bis zu weiteren Prinzen und Prinzessinnen aus dem Haus Wittelsbach. Noch zahlreicher als der Adel sind kirchliche Stände vertreten. Neben dem Bischof von Passau Sigismund Felix Freiherr von Ow sind die Weihbischöfe von München und Regensburg, Vertreter des Domkapitels von Passau, die Äbte von Scheyern und St. Gallen-Bregenz, ein Kanonikus von der Laterankirche in Rom, sowie verschiedene Prälaten und Ordenskleriker vertreten.
Die Festlichkeiten beginnen am Samstag, den 12. Oktober 1912. Die Reliquien werden in der Weihekapelle der Schmerzhaften Mutter im St. Anna-Kloster zur Verehrung ausgestellt. Ab drei Uhr morgens wird die Weihekapelle für die Öffentlichkeit wieder geöffnet und ab 4 Uhr finden Messfeiern statt. Um 7 Uhr beginnen die Zeremonien mit dem Beten der sieben Bußpsalmen. Die Feier besteht im wesentlichen aus zwei Teilen: Die Reinigung und die Weihe. Das Kirchengebäude und die Altäre werden durch einen dreimaligen Umgang mit Weihwasser innen und außen besprengt und gereinigt. Ab 10.30 Uhr werden die Reliquien in einer einzigartigen Prozession übertragen. Der riesige Festzug ist streng geordnet. Der Prozessionsweg führt vom St. Annakloster durch die Marienstraße und Mühldorferstraße über den Kapellplatz zur neuen Kirche. Die Reliquien, die alle gespendet worden sind, werden während der Zeremonie in die Seitenaltäre der neuen Kirche eingesetzt. Es handelt sich dabei u. a. um Reliquien der Apostel Andreas und Bartholomäus und des hl. Laurentius. Letztere beide hat Papst Pius X. persönlich gespendet. Aber auch andere kirchliche Vertreter spenden. So werden Reliquien der hl. Klara und des hl. Fidelis, Gebeine des hl. Ignatius, des hl. Franz Xaver und des hl. Stanislaus und andere nach Altötting gebracht. Inzwischen trifft ein Sonderzug mit 1000 Teilnehmern aus München ein. Prinz Ludwig kommt mit dem Auto. Er wird am Franziskushaus freudig begrüßt und am Kapellplatz herzlich empfangen. Schließlich steigt er im Kloster St. Anna ab.
Als der Festzug bei der neuen Kirche St. Anna angekommen ist, erfolgt die feierliche Öffnung des Hauptportals. Die Menschenmenge zieht in die Kirche. Dann werden die Altäre geweiht. Der Hochaltar, gestiftet vom Prinzregenten Luitpold, wird vom Bischof von Passau konsekriert Die Seitenaltäre von den Weihbischöfen aus München und Regensburg. Die Altäre werden gesalbt, jeweils an fünf Stellen werden Weihrauchkörner entzündet und der Hl. Geist herabgerufen. Danach werden die Reliquien in die einzelnen Altäre eingesetzt. Gegen 14.15 Uhr sind die Weihezeremonien zu Ende. Der anwesende Hochadel wird vom Klerus am Hauptportal empfangen und zum Presbyterium begleitet.
Es folgt die Festpredigt des Bischofs von Passau, in der er die Bedeutung dieser Festfeier und der Kirche insgesamt noch einmal herausstellt, sowie die Beziehung der neuen Kirche zur Mutter Anna und zur Gandenmutter von Altötting, der Patrona Bavariae. Er sieht auf diejenigen, die in Zukunft in dieses Gotteshaus kommen werden. Am Ende stimmt er ein in das „Ehre sei Gott“ und „Es sollen gesegnet sein die, welche dich erbaut haben“ (S. 26). Nach der Predigt zelebriert er das Pontifikalamt, bei dem der Kelch, den Papst Pius X. der neuen Kirche gespendet hat, zum ersten Mal verwendet wird. Am Ende des Hochamtes wird beim Ausgang der Kirche eine Gedenktafel zu Ehren des Prinzen Ludwig enthüllt.
Vor der Kirche wird ein Gedicht vorgetragen von Marie Wirth, der Tochter des königlichen Regierungsrates Wirth. Anschließend zieht sich der Adel ins Königszelt zurück, das auf dem Kapellplatz aufgestellt ist. Es folgt eine kurze Ansprache des Altöttinger Bürgermeisters. Prinz Ludwig bedankt sich u. a. mit den Worten: „Möge die Kirche nun viele Jahrhunderte stehen; möge sie allen, die nach Altötting kommen, um ihre Anliegen der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter zu Füßen zu legen, ermöglichen, ihre Christenpflichten zu erfüllen“ (S. 28). Daraufhin wird die Königshymne gesungen; die anwesenden Vereine erweisen dem hohen Gast die Ehre, indem sie am Königszelt vorbeiziehen. Inzwischen ist es halb 5 Uhr geworden. Die hohen Herren ziehen zum einem einfachen Festessen ins untere Kapuzinerkloster. Während des Festessens erwidert Prinz Ludwig den Dank des Bischofs. „Dabei betonte er die Pflicht wahrer Toleranz gegen Andersdenkende, aber ebenso entschieden verlangte er Toleranz für die Katholiken“ (S. 30). Provinzial P. Augustin bedankt sich beim Protektor, dem Bischof und auch bei P. Joseph Anton, dem Bauherrn, der mit dem Bau eine große Last zu tragen hatte.
Aufgrund seiner Tätigkeit wird P. Joseph Anton von Se. Kgl. Hoheit Prinzregent Luitpold zum Kgl. Geistlichen Rat ernannt. Dem Architekten Schott wird der Michaelsorden IV. Klasse verliehen. Auch der Bauherr selbst bedankt sich. Danach werden noch zwei Telegramme verlesen. Eines kommt von Papst Pius X., der der Feier den apostolischen Segen erteilt. Das zweite ist ein Dankschreiben des Ordensgenerals der Kapuziner, P. Pacificus aus Rom.
Die Feierlichkeiten enden um 18 Uhr mit einer feierlichen Vesper in der neuen Kirche. Am Montag, den 14. Oktober 1912 wird ein Hochamt für alle lebenden und verstorbenen Wohltäter des Baus zelebriert.