FOTO: KAPUZINER/LEMRICH
Bruder Joachim Wrede
Wie hast Du Deine Berufung gefunden?
Grundsätzlich kann ich sagen, dass ich mich schon als Kind in Kirche und mit Religion wohlgefühlt habe. Besonders das Lebensideal des Hl. Franz von Assisi faszinierte mich. Ob ich meinen Glauben leben sollte als Lehrer mit dem Fach Religion oder als Ordensmann? Das stand für mich zeitweise zur Frage. Ein Seminar im Studium für Lehramt gab mir eine klare Antwort: Religionsunterricht als nüchterne Vermittlung von theologischem Fachwissen – nein, das wollte ich nicht. Religion/Glaube wird durch Lebenszeugnis weitergegeben. Eigenartige Verknüpfungen ergaben sich – nein, das war kein Zufall! In einem Informationswochenende mit Ordensleuten fiel die Entscheidung, aus dem nahen Studentenwohnheim ins Noviziat der Kapuziner zu wechseln.
Warum Kapuziner?
Franziskus akzeptiert seine Brüder in ihren jeweiligen spirituellen Bedürfnissen und Charismen. Er gründet seine Gemeinschaft nicht für bestimmte Aufgaben. Auf die Lebensform nach dem Evangelium kommt es ihm an. „Der Herr hat mir Brüder gegeben.“ Es entsteht ein Lebensraum für Kontemplation und Aktion, tiefe Innerlichkeit und Zugewandtheit zum Mitmenschen, Mitfühlen mit der Schöpfung. Sein einfacher, prophetischer Lebensstil soll „Luft zum Atmen“ schenken und wach halten für die „Zeichen der Zeit“, um konkrete Antworten auf die jeweiligen Herausforderungen zu geben. Gerade dieser kreative, nicht verzweckte Raum ist ein großes Plus unseres franziskanisch-kapuzinischen Ordenslebens – wertvoll in einer Zeit, die den einzelnen gern verzweckt im eigenen System von Effektivität und Leistung.
Franz von Assisi?
Franz von Assisi ist nach 800 Jahren aktuell wie eh und je. Er bezaubert durch seine Zugewandtheit zu den Menschen. Diese Haltung speist sich aus seiner tiefen Liebe zu Stille und innerem Gebet. So verfasst er eine eigene Regel für Einsiedeleien. Die ersten Kapuziner greifen darauf zurück, wenn sie ihren Reformzweig „Minderbrüder vom eremitischen Leben“ nennen.
Was machst Du im Orden?
Ich bin dankbar dafür, dass wir uns als Orden in den letzten Jahrzehnten aufgemacht haben zu einer Neubesinnung auf unsere Ursprünge. So durfte ich unter anderem 14 Jahre als Missionar in einer indianischen Region in Mexiko leben und arbeiten – also eher pastoral aktiv – und nun als Eremit in einem abgelegenen Ort im Sauerland – eher kontemplativ. Wesentliche Anstöße bekam ich durch die indianische Spiritualität, die wiederentdeckte Mystik, Meditationsweisen aus den Weltreligionen. Ich meditiere zweimal am Tag jeweils zwei Stunden. Den Weg in religiöse Innenerfahrung gebe ich in drei Sitzgruppen weiter. Gern lade ich ein zum Mitleben und Mitmeditieren hier in die Einsiedelei. Das Haus ist geräumig und hat zwei Gastzimmer mit Bad. Morgens ist Mitarbeit angesagt (Essen zubereiten, Hausputz, kleiner Garten).
Was möchtest Du verändern in der Welt, in der Du lebst?
Unsere westliche Gesellschaft ist einen Weg gegangen, der Zerstörung über den Planeten bringt. Wir brauchen eine Kehrtwende, weg von einem konsumorientierten Lebensstil, von materieller Fixierung, hin zu geistigen Werten, zu einem solidarischen Lebensstil mit allen Menschen und der Natur, von der wir ein Teil sind. Einem Außenstehenden mag es widersinnig erscheinen: Kontemplation ist für mich der Weg zur Erneuerung der Welt, der Kirche, des Ordens! Nicht moralische Appelle werden Veränderungen erreichen, sondern die persönliche Erfahrung, dass wir geborgen sind in einem großen Geheimnis, das uns trägt, liebt und erhält. Eine Theologieprofessorin, Expertin für Mystik, sieht in der Kontemplation die Weiterführung und Vollendung der Befreiungstheologie und ihrer Praxis. Der Weg geht über einen ganzheitlichen Änderungsprozess. Papst Franziskus hat verlorengegangene Perspektiven wiedereröffnet in den Enzykliken Laudato Si und Fratelli Tutti!