FOTO: KAPUZINER
BR. CHRISTIAN ALBERT
Christian Albert wurde 1986 in Rintelen geboren. Mit 22 Jahren trat der gelernte Bankkaufmann bei den Kapuzinern ein. Dort machte er eine Ausbildung zum Koch und lebte im Kloster zum Mitleben in Stühlingen sowie in Lima/Peru. Seit Juni 2020 arbeitet Br. Christian in Albanien.
Br. Christian in Albanien: „Erstaunt und berührt“
Christian Albert ist Kapuziner und Koch. Er lebt gemeinsam mit einem Mitbruder in Albanien, in einer der ärmsten Regionen des Landes. Hier berichtet der junge Ordensmann über seine Erfahrungen vor Ort.
Seit Sommer 2020 lebe ich in Albanien. Besonders der Beginn war natürlich von Corona geprägt. Wie überall und bei jedem hat die Pandemie auch bei mir einiges durcheinandergebracht, Pläne durchkreuzt, Vorhaben ausgebremst. Eigentlich sollte es schon am Jahresanfang 2020 losgehen. Auf gepackten Koffern saß ich im Konvent Frankfurt. Dort hatte ich mich mit einem Sprachkurs auf den Einsatz in Albanien vorbereitet. Nun aber ging es nicht weiter. Der erste Lockdown verhinderte die Abreise. Auf unbestimmte Zeit sollte ich also weiterhin in Frankfurt bleiben. Aus Fushë-Arrëz hörte ich derweil, dass die Einschränkungen dort noch viel strenger waren, als bei uns in Deutschland. Eine strikte und polizeilich kontrollierte Ausgangssperre über mehrere Wochen legte das Leben im ganzen Land lahm. Im Juni war es dann soweit. Grenzen wurden geöffnet und Reisen waren wieder möglich, wenn auch erschwert, unter besonderen Bedingungen. Als die Flugzeuge wieder abhoben, machte ich mich auf den Weg in den Balkanstaat.
Allen Regeln und Einschränkungen der vergangenen Monate zum Trotz, erwartete mich hier eine ungewohnte Normalität. Das Flughafengebäude in Tirana schien die letzte gesicherte Festung gegen die Pandemie zu sein, in die man nur nach strenger Kontrolle hinein und hinaus kam. Einmal die Desinfektionsschläusen passiert, glaubte ich alles vergessen. Menschentrauben drängten sich in der „Kiss and Fly Area“, Taxifahrer buhlten um Kunden und irgendwo dazwischen wartete Bruder Andreas Waltermann auf mich.
Als ob es das Virus gar nicht gäbe, lebten die Menschen ihren Alltag. Die Ausgangssperren im Lockdown waren beinahe vergessen. Das war ungewohnt für mich, hatten wir in Deutschland doch gelernt Abstand zu halten und aufeinander Rücksicht zu nehmen, um sich so gegenseitig vor einer Ansteckung zu schützen. In Shkodër erlebte ich, wie Polizistinnen die Leute ermunterten, ihre Masken zu tragen und über den Sinn der Maßnahmen aufklärten, jedoch mit nur mäßigem Erfolg. Die Menschen wollten einfach zurück zur Normalität und diesen Wunsch konnte ich durchaus nachvollziehen.
Die Kirche muss zu den Menschen gehen
In Fushë-Arrëz galt es dann erstmal unter den besonderen Bedingungen anzukommen. Ich zog in das Häuschen am Rande der Missionsstation ein, in dem Bruder Andreas und ich seither als kleine Kapuzinergemeinschaft zusammenleben. Von Anfang an war ich integriert in das Leben und die Tätigkeiten von Bruder Andreas und Schwester Gratias. Natürlich mit Einschränkungen, die vor allem auf meinen mangelnden Sprachkenntnissen beruhten. Zwei Monate zusammen mit unseren Kapuzinerbrüdern im Konvent in Shkodër halfen mir, die albanische Sprache etwas besser zu erlernen. Jedoch sollte es noch weitere Monate mit vielen Anstrengungen, Höhen und Tiefen, dauern, bis ich die fremde Sprache einigermaßen alltagstauglich beherrschte. Das war erst in diesem Sommer soweit, als die „Sommermission“ vor der Tür stand.
In unserer albanischen Diözese Sapa gibt es während der Schulferien die sogenannte Sommermission. Zum Hintergrund: Das Bistum erstreckt sich über die flache, dichter besiedelte Feldregion des Zadrim und über die Bergregion von Puka und Tropoja. Während die Gemeinden im Flachland rund um die Bischofsstadt Vau-Dejës durch Priester und Ordensleute seelsorglich gut versorgt sind, fehlt es in den Bergen an seelsorglichen Angeboten. Zum Beispiel ist unsere Nachbarpfarrei seit fast vier Jahren ohne Pfarrer. In der dreiwöchigen Sommermission gehen also Priester, Ordensleute, pastorale Mitarbeiter, als Katechisten engagierte Laien und Jugendliche in die Bergregionen. Vor Ort gibt es dann Treffen zur Katechese, Vorbereitung der Kandidaten auf Taufe, Erstkommunion, Firmung und Ehe. Familien werden in ihren Häusern besucht, ihre Sorgen und Nöte gehört. Kinder- und Jugendtage werden organisiert.
Den Menschen zeigen, dass sie nicht vergessen sind
In diesem Jahr beschlossen wir, etwas mehr zu tun. Bei einem Besuch in der Region um Lekbibaj erkannte Bruder Andreas die Notwendigkeit eines Engagements von „Kirche“ in diesem Gebiet. Einige Dörfer dort sind so abgelegen, dass selbst die Sommermission der Diözese dort nicht hingelangt. Zweieinhalb Wochen waren wir also dort in den Bergdörfern unterwegs. Unterkunft fanden wir im Haus der franziskanischen Schwesterngemeinschaft in Dushaj. Mit Geländewagen fuhren wir von dort zunächst eine halbe Stunde über eine kurvenreiche, aber asphaltierte Straße zum Ort Lekbibaj. Dann folgte eine weitere Autostunde über Schotterpisten. Als die befahrbare Straße endete, hatten wir manchmal noch bis zu einer Stunde Fußweg vor uns.
In den Dörfern wurden wir freundlich aufgenommen. Viele Menschen freuten sich sehr darüber, dass „die Kirche“ auch zu ihnen kommt. Selbst in ihre weit abgelegenen Dörfer. Und das ist vielleicht auch das größte Zeichen, das wir in diesen Tagen getan haben: Den Menschen zu zeigen, dass sie nicht vergessen sind. Zusammen mit Schwester Dila, dem Pastoralassistenten Marash und Denis, einem Jugendlichen aus unserer Gemeinde, kam ich in dieser Zeit in viele Häuser. Wir besuchten Familien und allein zurückgebliebene alte Menschen. Wir kamen ins Gespräch über ihre Lebenssituation, über Sorgen und Nöte, über Wünsche für die Zukunft ihrer Kinder, über Überlegungen, ihr Dorf und die Heimat zu verlassen, um es an einem anderen Ort vielleicht besser zu haben. Aber auch über unseren Glauben sprachen wir und über die in ihrer Welt und in ihrem Alltag gelebte Glaubenspraxis. Mit den Tagen in dieser Region und im Kontakt mit den Menschen dort, lernte ich etwas von ihrer Kultur kennen und nach und nach hörte ich mich auch in den mir völlig fremden Dialekt ein.
Die Kirche ist mehr als ein Gebäude
Mit den Dorfbewohnern, Alten wie Jungen, trafen wir uns täglich zur Katechese. Das große Verlangen danach, etwas von Jesus Christus zu hören, hat mich erstaunt und berührt. Ich erinnere mich gerne an die dichte Atmosphäre unserer Treffen im Dorf Brizë. Wie aufmerksam alle, vom Kind bis zum Dorfältesten, dabei waren, wie sie interessiert nachfragten. Sie ließen ihre Arbeit auf den Feldern ruhen, die es selbstverständlich später nachzuholen galt, um bei unseren Treffen dabei zu sein. Wir trafen uns an dem Ort, den sie nur „Vend i Kishës“ – also Ort der Kirche nannten, an dem bis zur Zerstörung durch die Kommunisten ihre Dorfkirche stand. Für die kleine Kirchturmglocke hatten sie damals ein Versteck in einem Erdloch geschaffen und sie so vor der Vernichtung bewahrt. Nach dem Fall des Regimes erinnerte man sich an das Versteck und hängte die Glocke in einen Baum, nahe des Ortes, an dem sie früher in einem Kirchturm hing. Am Ende der Mission in Brizë rief die Glocke wieder zum Gottesdienst. Draußen, im Schatten der Bäume des Friedhofs, feierten wir zusammen Eucharistie. Es war eine eindrückliche Feier, in der mehrere Jugendliche getauft wurden. Auch wurde das Sakrament der Firmung gespendet und viele der Mitfeiernden traten zum ersten Mal an den Tisch des Herrn, um am Abendmahl teilzunehmen und Jesus in der Gestalt des Brotes zu empfangen.
Auf die Zeit in den Bergdörfern folgten für mich drei weitere Wochen in der Region Tropoja, in denen meine Leidenschaft, das Kochen, nicht zu kurz kam. Neben vielen weiteren Hausbesuchen und Segnungen von Häusern und Wohnungen sorgte ich nämlich als Koch für eine große Gruppe von Mitarbeitenden in der Sommermission.
Im Gegensatz zum vergangenen Jahr, konnte ich mich in diesem Sommer stärker einbringen. Ganz einfach deshalb, weil die Sprachbarriere nicht mehr so groß ist. Natürlich muss ich noch weiterhin viel an meinem Albanisch arbeiten, aber immerhin kann ich mich jetzt schon ganz gut mit den Leuten verständigen. Für ein Gespräch bei einer Tasse „Kafe turke“ reicht es auf jeden Fall aus.
Im Winter wird es ruhiger
Die Sommerzeit auf der Missionsstation ist besonders arbeitsreich. In ganz unterschiedlichen Bereichen gibt es einiges zu tun. Viele Projekte, wie zum Beispiel die Hausbauten und Renovierungen, laufen nur im Sommer. Hinzu kommen Aktivitäten wie die Sommermission, Besuche und Haussegnungen bei den Gemeindemitgliedern in Fushë-Arrëz und in den Dörfern in der näheren Umgebung, eine Ferienfreizeit für unsere Ministranten und vieles mehr. Jetzt im Winter ist es ruhiger. Es bleibt mehr Zeit für Büroarbeit oder auch, um mal wieder ein gutes Buch zu lesen. Und ich kann meinem Blog, in dem ich aus Albanien berichte (www.albanien.blog), wieder etwas mehr Zeit widmen.