Interview

FOTO: KAPUZINER/MARIUS JACOBY

BR. Michael Masseo Maldacker

wur­de 1974 in Rhein­fel­den im Erz­bis­tum Frei­burg gebo­ren. Br. Micha­el ist seit 2019 Kapu­zi­ner und stu­diert zur­zeit in Müns­ter katho­li­sche Theologie. 

17. Janu­ar 2022

„Der Glaube ist Voraussetzung auf dem Weg zur Wahrheit“

War­um ist die Wahr­heit der Täu­schung vor­zu­zie­hen? Wie pas­sen Glau­be und Wahr­heit zusam­men? Ein Inter­view mit dem Kapu­zi­ner Micha­el Mal­d­a­cker, der für sich erst spät in sei­nem Leben eine neue Wahr­heit entdeckte. 

Br. Micha­el, schon immer beschäf­ti­gen sich Men­schen mit Wahr­heit und Lüge. War­um eigentlich?

Kein Mensch möch­te ange­lo­gen wer­den. So ein­fach ist das.

Jeder hat sei­ne eige­ne Defi­ni­ti­on von Lüge. 

So ist es. Wenn ich die Wahr­heit ein­fach nur ver­schwei­ge, dann sieht das man­cher nicht als Lüge an. Des­we­gen ist der Begriff ‚Täu­schung‘ pas­sen­der. Der gro­ße Kir­chen­leh­rer Augus­ti­nus hat dazu gesagt: „Die Lüge ist offen­sicht­lich eine unwah­re, mit dem Wil­len zur Täu­schung vor­ge­brach­te Aussage.“

Ist die Wahr­heit denn wirk­lich immer die bes­se­re Wahl?

Natür­lich gibt es Situa­tio­nen, in denen man sein Gegen­über durch eine Täu­schung scho­nen möch­te. Aber sei­en wir ehr­lich: Es geht in den meis­ten Fäl­len vor allem um die eige­ne Per­son. Um Bequem­lich­keit, um Angst. Des­halb lügt man. Aber auch wenn es schwer­fällt: Die Wahr­heit ist immer die bes­se­re Wahl, davon bin ich über­zeugt. Das ist mir als Christ sehr wich­tig. Ich will mein Gegen­über nicht täu­schen. Außer­dem macht die Beschö­ni­gung der Lüge die Unwahr­heit auf lan­ge Sicht salon­fä­hig und zer­setzt den Wert der Wahrheit.

Auch wenn man jeman­den vor einer sehr schlech­ten Nach­richt scho­nen will?

Da wird es wirk­lich sehr schwie­rig. Gera­de bei Kin­dern möch­te ich nicht beur­tei­len, ob die Täu­schung in man­chen Fäl­len die bes­se­re Wahl als die Wahr­heit ist. In mei­nem Umfeld habe ich aber auch erlebt, dass die Wahr­heit den­noch der rich­ti­ge Weg sein kann. Ganz kon­kret: Vor eini­gen Jah­ren ist mei­ne Schwä­ge­rin im Alter von 49 Jah­ren gestor­ben. Als sie und mein Bru­der die Nach­richt beka­men, dass sie nur noch weni­ge Mona­te zu leben hat, haben die bei­den dar­über mit dem damals fünf­jäh­ri­gen Sohn offen gespro­chen. Sie woll­ten bei der Wahr­heit blei­ben und haben ihn auf den Tod der Mut­ter vor­be­rei­tet. Er hat gute letz­te Mona­te mit sei­ner Mut­ter ver­bracht. Auch das Ver­schwei­gen der Wahr­heit, um ein Kind zu scho­nen, will in jedem Ein­zel­fall gut über­legt sein. 

Die Wahr­heit spielt in Ihrem Leben, auch vor Ihrer Zeit als Kapu­zi­ner, eine wich­ti­ge Rol­le. Sie sind aus­ge­bil­de­ter Journalist. 

Das ist rich­tig. Ich habe mein Leben lang als Jour­na­list gear­bei­tet. Vor allem bei Tages­zei­tun­gen, beim Rund­funk und bei einer Nachrichtenagentur.

War­um sind Sie Jour­na­list geworden?

Mit 16 habe ich ganz klas­sisch in der Lokal­re­dak­ti­on ange­fan­gen. Da war die Wahr­heits­su­che nicht die Haupt­mo­ti­va­ti­on, son­dern die Eitel­keit. Ich woll­te schrei­ben und ich woll­te gedruckt wer­den. Doch ein ethisch sau­be­rer Umgang mit der Wahr­heit war mir auch frü­her schon wichtig. 

Die Wahr­heit ist immer die bes­se­re Wahl, davon bin ich über­zeugt. Das ist mir als Christ sehr wich­tig. Ich will mein Gegen­über nicht täuschen.

Dür­fen Journalist*innen eine Hal­tung haben?

Es geht nicht ohne. Ohne Hal­tung fehlt die Moti­va­ti­on, die wich­tig ist für guten Jour­na­lis­mus. Das darf aber natür­lich nicht zu einer Vor­ein­ge­nom­men­heit füh­ren, zu Ergeb­nis­sen von Recher­chen, die schon vor­her feststehen.

Wahr­heit im Jour­na­lis­mus ist ein gro­ßes The­ma die­ser Tage. Vor­wür­fe von Fake News auf der einen, die Auf­he­bung der Gren­zen von Bericht und Mei­nung auf der ande­ren Sei­te. Was ist Ihr Blick auf die­se Diskussion?

Natür­lich gibt es auch Journalist*innen, die nicht kor­rekt arbei­ten oder sich von Aus­sa­gen blen­den oder ver­füh­ren las­sen, um an eine kon­stru­ier­te ‚Wahr­heit‘ zu gelan­gen. Aber es gibt noch immer zahl­rei­che Journalist*innen, die eine her­vor­ra­gen­de und gewis­sen­haf­te Arbeit machen. Die heu­te schon infla­tio­nä­re öffent­li­che Medi­en­schel­te hal­te ich für unangemessen.

Was ist, wenn Sie in einer Dis­kus­si­on mit Fake News kon­fron­tiert werden?

Fake News sind bewuss­te Lüge und Täu­schung. Das ist ekel­haft und unver­ant­wort­lich. Da muss man ganz genau auf die Her­kunft der angeb­li­chen Wahr­heit ach­ten, auf die Quel­le oder den Urhe­ber einer Äuße­rung. Fake News bre­chen bei einer kri­ti­schen Prü­fung durch jeden von uns meist ganz schnell in sich zusam­men. Ich beob­ach­te aber, dass vie­le Men­schen nur noch das glau­ben möch­ten, was sie in ihrem fes­ten Welt­bild bestä­tigt. Dar­aus ent­ste­hen dann Ver­schwö­rungs­theo­rien, die die Gesell­schaft wei­ter spal­ten. Ich bin heil­froh, dass in unse­ren Kapu­zi­ner­klös­tern nur sehr weni­ge auf der­art simp­le ‚Wahr­hei­ten‘ hereinfallen.

Sie sind erst spät in den Kapu­zi­ner­or­den ein­ge­tre­ten. Wie kam das?

Ich habe mei­ne geist­li­che Beru­fung immer über­hö­ren wol­len, das weiß ich inzwi­schen. Erst rund um mei­nen 40. Geburts­tag wur­de mir klar: Ich muss Got­tes Ruf jetzt fol­gen – oder nie mehr. 

Es gab in Ihrem Leben ein ‚Blitz­schla­g­er­leb­nis‘. Dort haben Sie eine neue Wahr­heit für Ihr Leben entdeckt. 

Ja, das ist ganz gut aus­ge­drückt. Kir­che hat mich wei­te Stre­cken mei­nes Lebens nicht inter­es­siert. Ich bin zwar katho­lisch sozia­li­siert und habe sogar im Alter von neun Jah­ren zum ers­ten Mal eine Beru­fung zum Pries­ter gespürt. Aber ich habe die­sen Gedan­ken immer wie­der ver­drängt. Nach und nach ent­fern­te ich mich von der Kir­che und auch vom Glau­ben. Ich war über vie­le Jah­re über­zeugt, dass Gott nicht exis­tie­ren kön­ne. Ange­sichts von Leid und Unge­rech­tig­keit in der Welt. Und dann kam die­ser Hei­lig­abend 2015, der alles ver­än­der­te. Ich ver­brach­te den Nach­mit­tag und Abend für eine gro­ße Repor­ta­ge bei einem Pfar­rer. Ich ging als Jour­na­list ins Pfarr­haus hin­ein und kam als Pries­ter­kan­di­dat wie­der heraus.

Chris­tus ist die Richt­schnur für mein Leben. Er steht als Per­son für die Wahr­heit, er fügt zusam­men, was Men­schen nicht mög­lich ist.

Was ist an die­sem Abend passiert?

Die Vor­ge­schich­te war, dass der Pfar­rer erst­mal sehr skep­tisch war, als ich anfrag­te. Schließ­lich ist das ja ein ereig­nis­rei­cher Abend, da hat man ande­re Plä­ne, als einen ner­vi­gen Jour­na­lis­ten an der Sei­te zu haben. Am Tele­fon habe ich dann einen Satz gesagt, von dem ich bis heu­te nicht weiß, wo die­ser her­kam. Nach sei­ner bar­schen Ableh­nung sag­te ich zu dem Mann: „Und was ist, wenn wir gemein­sam beten?“ Die Ant­wort war: „Dann machen wir es!“ Und so nahm der Abend sei­nen Lauf. Mit Christ­met­te, gemein­sa­mem Essen, Gebet und Gesprä­chen. Am Ende hat­te ich mei­ne Recher­che gemacht, die Repor­ta­ge ist erschie­nen. Aber das alles war nicht mehr wich­tig. Sie­ben Tagen spä­ter habe ich den Pfar­rer ange­ru­fen und ihm gesagt: „Ich will Pries­ter werden.“

Klingt unglaub­lich.

Ist es auch, abso­lut. Ich habe in die­sen Stun­den gewis­ser­ma­ßen eine ande­re Wahr­heit für mich gefun­den. Mei­nen Anruf bei Pfar­rer Schul­er wer­de ich nie vergessen.

Wie war das genau? 

Das war für mich ein gro­ßer Schritt. Ich rief ihn an und mein Atem stock­te schon, als er den Hörer abhob. Ich sag­te nicht ein­mal „Hal­lo“, glau­be ich. Dann nahm ich mei­nen gan­zen Mut zusam­men und sag­te: „Herr Pfar­rer, ich möch­te Pries­ter wer­den.“ Es folg­ten lan­ge Momen­te der Stil­le. Nun fürch­te­te ich eine Abfuhr, eine Zurecht­wei­sung, eine Ermah­nung. Ich dach­te, mein Vor­stoß schockt den Pfar­rer. Falsch gedacht. Nach die­ser Atem­pau­se sag­te August Schul­er ganz sanft­mü­tig und zu mei­ner gro­ßen Über­ra­schung: „Das habe ich schon gespürt, als ich Ihnen an Hei­lig­abend die Pfarr­haus­tür öff­ne­te.“ Ich hät­te vor Freu­de wei­nen kön­nen. Und seit die­sen Stun­den gibt es für mich die­se neue Wahrheit.

Kern die­ser neu­en Wahr­heit ist Jesus. In der Bibel gibt es zum The­ma Wahr­heit einen viel­zi­tier­ten Satz: „Ich bin der Weg und die Wahr­heit und das Leben.“ Was bedeu­tet Ihnen die­se Bibelstelle?

Die­ser wun­der­ba­re Satz stammt aus dem Johan­nes­evan­ge­li­um. Chris­tus ist die Richt­schnur für mein Leben. Er steht als Per­son für die Wahr­heit, er fügt zusam­men, was Men­schen nicht mög­lich ist.

Glau­be und Wahr­heit pas­sen für vie­le nicht zusam­men, sind gar ein Wider­spruch. War­um geht es Ihnen nicht so?

Die umfas­sen­de Wahr­heit kann nur von jeman­dem kom­men, der auch einen umfas­sen­den Blick auf die Din­ge hat. Ich bin das nicht. Und auch kein ande­rer Mensch. Des­we­gen kann das für mich nur Gott sein. Inso­fern ist der Glau­be für mich die Vor­aus­set­zung auf dem Weg zur Wahrheit.

Zwei­feln Sie manch­mal an die­ser Wahrheit?

Natür­lich habe ich seit mei­ner Umkehr hin zu Gott vor unge­fähr sie­ben Jah­ren auch Zwei­fel an Got­tes Exis­tenz gehabt. Aber tat­säch­lich sehr sel­ten. Mein Glau­be war letzt­lich immer stär­ker als die Zwei­fel. Aber selbst­ver­ständ­lich gibt es immer wie­der Fra­gen, auf die ich kei­ne Ant­wort bekomme.

Braucht die­se Wahr­heit einen Beweis?

Die­se gan­ze Dis­kus­si­on um Got­tes­be­wei­se, die ich ja auch im Theo­lo­gie­stu­di­um ver­fol­ge, die fin­de ich klein­gläu­big und mit­un­ter sogar haar­sträu­bend, das muss ich wirk­lich sagen. Was soll mir denn ein Got­tes­be­weis brin­gen? Selbst wenn es die aller­klügs­te Argu­men­ta­ti­on gäbe: Ich brau­che das nicht. Glau­be ist so viel grö­ßer als ein offi­zi­el­ler Beweis. Dass Gott exis­tiert und es gut mit uns meint, kann ich als Glau­ben­der doch täg­lich erfahren.

Br. Micha­el, vie­len Dank für das Gespräch!

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