Interview

FOTO: KAPUZINER/LEMRICH

BR. STEFAN KNOBLOCH

wur­de 1937 gebo­ren und ist Pries­ter und Theo­lo­ge. 1956 trat er in den Kapu­zi­ner­or­den ein. Von 1988 bis 2002 war er Pro­fes­sor für Pas­to­ral­theo­lo­gie in Mainz. Br. Ste­fan lebt in Passau. 

20. Dezem­ber 2022

„Die Freiheit ist das eigentliche Ziel des Glaubens“

Unter­wegs­sein, Wach­sen, Schwan­ken und Suchen: Was ist wich­tig für den Glau­ben? Der Kapu­zi­ner Ste­fan Knob­loch im Gespräch über Glau­bens- und Kir­chen­kri­sen, Indi­vi­dua­li­sie­rung und ein Leben in Freiheit. 

Br. Ste­fan, immer mehr Men­schen tre­ten aus der Kir­che aus. Sehen wir eine Glaubenskrise?

Br. Ste­fan Knob­loch: Nein. Das ist weni­ger eine Glau­bens­kri­se als viel­mehr eine Kri­se der Kir­che als Insti­tu­ti­on. Das zeigt sich in den letz­ten Jah­ren an der Viel­zahl der Aus­trit­te. Es ent­steht bei vie­len Leu­ten eine Ent­täu­schung bis in den Kern der Gemein­den hin­ein. Eine Ent­täu­schung über die Vor­gän­ge in der Kir­che. Das ist für mich kein Abschied vom Glau­ben, son­dern eine Suche nach einer ande­ren Sozi­al­form des Glau­bens, des gemein­sa­men Glau­bens. Die heu­ti­ge Kir­chen­kri­se spricht das Glau­bens­po­ten­zi­al des Men­schen eher posi­tiv an, es ver­sinkt nicht im Graben.

Was ist denn das Pro­blem der Kirche? 

Die Kir­che ist zu wenig auf dem Weg, sich an Jesus zu ori­en­tie­ren. Sie ist nicht „evan­ge­lisch“ genug. Das hängt mit dem unge­klär­ten Ver­hält­nis von Tra­di­ti­on und Gegen­wart zusammen.

Kir­che hat sich immer ver­än­dert im Lau­fe der Geschichte. 

Ja, das schon. Aber oft nur in sehr äußer­li­chen For­men. Heu­te wer­den Pfar­rei­en auf­ge­löst, zusam­men­ge­legt, die Kir­chen wer­den lee­rer, wir haben zu wenig Pries­ter für heu­te. Es braucht Mut zu neu­en Schrit­ten, denn es gibt kei­ne Kon­ti­nui­tät im Glau­ben ohne Dis­kon­ti­nui­tä­ten. Iden­ti­tät wird gewon­nen über Abbrü­che und Umbrü­che. Dar­an fehlt es.

Ich ver­puf­fe im Tod nicht in Nichts. Ich bin per­sön­lich ange­spro­chen und ver­su­che mit allem, was ich bin, auf Gott zu bauen.

Wie hört man denn auf die Zei­chen der Zeit, ohne alles wegzuwerfen? 

Die­se Fra­ge scheint mir ein gewis­ses Miss­trau­en in Ver­än­de­run­gen an sich zu haben. Es gibt kei­nen bes­se­ren Text als den in der Pas­to­ral­kon­sti­tu­ti­on Gau­di­um et spes, der die Fra­ge so beant­wor­tet: Das Volk Got­tes bemüht sich in den Ereig­nis­sen, in den Bedürf­nis­sen, in den Wün­schen der Men­schen den Wil­len Got­tes zu erken­nen. Es geht um das rea­le Leben! Aus ihm spre­chen die Zei­chen der Zeit! Zei­chen der Zeit, Hei­li­ge Schrift, Tra­di­ti­on, das sind kei­ne Gegen­sät­ze, son­dern sie ver­bin­den sich zu einem Weg, den wir gehen müssen.

Haben Sie Hoff­nung für die Kir­che, dass sie die­sen Weg geht?

Ich habe Hoff­nung, denn ich bin ein opti­mis­ti­scher Mensch. Auch wenn die momen­ta­ne Lage das eher nicht hergibt.

Was macht die­se Kri­se mit Ihrem per­sön­li­chen Glau­ben, Br. Stefan?

Das ist eine gute Fra­ge. Ich bin in mei­nem Leben auf einem Weg unter­wegs, bei dem ich ange­nom­men bin. Ich ver­puf­fe im Tod nicht in Nichts. Ich bin per­sön­lich ange­spro­chen und ver­su­che mit allem, was ich bin, auf Gott zu bau­en. Das gibt mir eine Grund­hoff­nung. Aber fest steht auch: Wie ich mei­nen Glau­ben defi­nie­re, das könn­te für einen ande­ren ein sehr dür­rer Glau­be sein.

Wel­che Fra­gen stel­len Sie sich in Bezug auf Ihren Glauben?

Es geht erst ein­mal dar­um zu ver­ste­hen, wonach Sie mich da fra­gen. Unse­re Spra­che spie­gelt ja nicht ein­fach die Wirk­lich­keit, sie bil­det nicht ein­mal unse­re natür­li­che Welt hin­rei­chend ab. Erst recht gilt das, wenn ich sage: „Ich glau­be, dass Jesus der Sohn Got­tes ist“. Dann tref­fe ich damit kaum das, was es inhalt­lich zu sagen in Anspruch nimmt. Dazwi­schen lie­gen Welten.

Geht es dann weni­ger um dok­tri­na­les Glau­bens­wis­sen als viel­mehr um das Ver­trau­en ins Leben?

Ja. Dok­tri­nal heißt: Es ist alles aus­ge­sagt und for­mu­liert, wor­an sich der Glau­be hält. Das trifft aber nicht den Kern des Glau­bens. Ich habe kei­nen Anspruch, von mir her Gott dok­tri­nal zu begrei­fen. Das Ver­hält­nis Gott und Mensch ist ein Ver­trau­ens­ver­hält­nis, aber nicht so, als stün­den sich hier zwei Per­so­nen gegen­über. Mein Per­son-Sein wird von Gott umfasst und ermög­licht so erst mein Gegen­über­sein zu Gott. Da ver­quickt sich etwas. Gleich­wohl sind alle unse­re Aus­sa­gen über Gott, auch die im Glau­ben for­mu­lier­ten, sehr menschlich.

Glau­be ist kei­ne abge­schlos­se­ne Grö­ße. So wie ich mich sel­ber ver­än­de­re, so ver­än­dert sich mit mei­nem Leben auch mein Glaube.

Vie­le Gläu­bi­ge sagen heu­te: Wor­über die Kir­che spricht, hat nichts mit mei­nem Leben zu tun.

Das ist so, und ich ver­ste­he das. Aber ich möch­te es eigent­lich umdre­hen: Kir­che ist nicht zuerst eine Insti­tu­ti­on, die Regeln auf­stellt. Kir­che besteht aus Gläu­bi­gen. Wenn Gläu­bi­ge also ein Sexu­al­le­ben leben, das den Vor­ga­ben der Insti­tu­ti­on Kir­che nicht ent­spricht, dann heißt das nicht, dass sie nicht als Kir­che leben. Sie sind Kir­che, und was sie leben, das ist eine Form, den Glau­ben zu leben und ihn weiterzuentwickeln.

Füh­len Sie sich wohl in die­ser Kirche?

Ich hät­te gar kei­nen ande­ren Lebens­raum. Je älter ich wer­de, des­to mehr iden­ti­fi­zie­re ich mich mit mei­nem Leben. So wie ich hier sit­ze, fan­ge ich nicht mehr an, etwas Neu­es zu suchen, noch dazu nach der Ent­wick­lung, die ich hin­ter mir habe. Ich mer­ke auch, dass ich vie­les von mir fern­hal­te, auch zum Schutz.

Wie steht es um den Glau­ben in der Gesellschaft?

Ich glau­be, er wird viel­fach unter­schätzt. Glau­be besteht nicht nur dar­in, dass man über Glau­bens­wahr­hei­ten spre­chen kann. Vie­le sind auf der Suche, auf der Suche nach Gott. Und Papst Fran­zis­kus hat­te Recht, als er sag­te, man kön­ne Gott auf den Stra­ßen, auf den Plät­zen der Welt, in den Mega-Cities der säku­la­ren Gesell­schaf­ten finden.

Ich füh­le mich frei. Die­se Frei­heit ist ein Geschenk Gottes.

Ist die immer stär­ker wer­den­de Indi­vi­dua­li­sie­rung ein Problem?

Das ist in unse­ren Ver­hält­nis­sen sicher eine Kom­po­nen­te. Aber das stellt sich kul­tu­rell ganz unter­schied­lich dar. In man­chen Kul­tu­ren ist die Wir-Kom­po­nen­te viel stär­ker im Blick als in unse­rem abend­län­di­schen Raum. Aber auch da fin­det der Mensch Wege, stellt er Fra­gen, auch wenn er die nicht aus­drück­lich als Fra­gen nach Gott und nach dem Glau­ben wahr­nimmt. Wenn umge­kehrt der Glau­be sich eher in einer nega­ti­ven For­men­ge­stalt zeigt, dann nimmt es nicht wun­der, wenn man­che sagen, damit wol­len sie nichts zu tun haben. Das sagt wenig dar­über aus, wie das Ver­hält­nis des Ein­zel­nen zu Gott ist.

Ist die eige­ne Glau­bens­er­fah­rung heu­te wich­ti­ger als früher?

Ja, den Ein­druck habe ich. Frü­her schien aus dem gemein­sa­men Geha­be eine per­sön­li­che Bezug­nah­me viel­leicht weni­ger not­wen­dig. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob es tat­säch­lich so war. Ich kann mir schlecht vor­stel­len, dass Men­schen frü­her aus blo­ßer Gewohn­heit ihren Glau­ben „leb­ten“ und sich damit inner­lich abge­fun­den haben.

Was bedeu­tet die Indi­vi­dua­li­sie­rung für die Seelsorge?

Sie ist eine gro­ße Anfor­de­rung für Seel­sor­ger: Nehmt die Men­schen in ihrer Indi­vi­dua­li­tät ernst! Es geht nicht dar­um, mit der Sto­la zu kom­men und zu mei­nen, den rech­ten Glau­ben zu brin­gen. Son­dern es geht dar­um, den Men­schen ernst zu neh­men und sich dafür zu inter­es­sie­ren, wie er tickt, was er denkt, von wel­cher Sub­stanz er lebt und wonach er auf der Suche ist.

Ist die­se Suche, die sie anspre­chen, wich­tig für den Glauben? 

Ja, ich nen­ne das „pro­zes­sua­len Glau­ben“. Es geht um das Unter­wegs­sein, das Wach­sen, Schwan­ken und Suchen. Glau­be ist kei­ne abge­schlos­se­ne Grö­ße. So wie ich mich sel­ber ver­än­de­re, so ver­än­dert sich mit mei­nem Leben auch mein Glaube.

Was bedeu­tet die Frei­heit in die­sem Zusammenhang?

Die Frei­heit ist das eigent­li­che Ziel des Glau­bens. Jeder ist gebun­den: an eige­ne Gewohn­hei­ten, an eige­ne Ver­här­tun­gen. Gewohn­hei­ten haben immer zwei Sei­ten: sie kön­nen einen fes­seln, aber auch das täg­li­che Leben erleich­tern. Frei­heit ist das eigent­li­che Ziel des Lebens. Frei zu sein in einer Frei­heit, die für uns zugleich uner­reich­bar ist, die uns in Jesus sozu­sa­gen vor­ge­stellt wird. Es ist die Frei­heit, sich nicht immer wie­der rück­zu­bin­den an die eige­nen Ein­brü­che und Nie­der­la­gen, son­dern zu sagen: Mein Leben ist mehr, es ist mir geschenkt in Frei­heit. Das ist jetzt sehr abs­trakt gesagt, doch es ist der Kern des Glaubens.

Füh­len Sie sich frei?

Ja, in der Tat. Ich füh­le mich frei. Die­se Frei­heit ist ein Geschenk Got­tes. Und der Glau­be kann gar nicht anders als die­sen Raum zu befördern.

Vie­len Dank für das Gespräch!

Das Inter­view führ­te Tobi­as Rauser

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