Interview

FOTO: SLW ALTOETTING

14. Febru­ar 2020

„Die Kinder, die Hilfe brauchen, werden immer jünger“

Das Kin­der­hilfs­werk der Kapu­zi­ner hat ein neu­es Gesicht als SLW-Prä­ses: Bru­der Mari­nus Par­zin­ger. Ein Gespräch über den Umgang mit soge­nann­ten Sys­tem­spren­gern, den Wert reli­gi­ons­sen­si­bler Erzie­hung und das Rin­gen um finan­zi­el­le Unter­stüt­zung und sozi­al­po­li­ti­schen Rückhalt.

Bru­der Mari­nus, was reizt Sie an Ihrer neu­en Aufgabe?
Am meis­ten reizt mich, dass ich mich hier aktiv für Kin­der und Jugend­li­che ein­set­zen und ihnen ein Stück Zukunft ermög­li­chen kann. Der Schwer­punkt unse­rer Ange­bo­te liegt ja im Bereich Jugend­hil­fe. Das heißt, wir küm­mern uns groß­teils um jun­ge Men­schen, die bereits in frü­hen Jah­ren phy­si­sche und psy­chi­sche Ver­let­zun­gen erlit­ten haben. Die nicht das Glück hat­ten, in einem gesun­den Umfeld auf­zu­wach­sen. Für die sich nie­mand in der Fami­lie inter­es­siert hat, denen kei­ner ein sta­bi­les Rück­grat ver­lie­hen hat. Die­se Kin­der und Jugend­li­chen beglei­ten wir in unse­ren heil­päd­ago­gi­schen Tages­stät­ten, betreu­ten Wohn­grup­pen und in vie­len wei­te­ren ambu­lan­ten Ange­bo­ten. Dane­ben betreibt das SLW auch Krip­pen, Kin­der­gär­ten und Hor­te sowie fünf Grund- und Mittelschulen.

Das SLW hat Ein­rich­tun­gen in Alt­öt­ting, Marktl, Her­zo­gen­au­rach, Feucht, Pars­berg, Traun­stein, War­ten­berg und – ganz neu – in Fürs­ten­zell. Das sind kei­ne Groß­städ­te, wo man sozia­le Brenn­punk­te eigent­lich erwar­ten würde.
Das eigent­lich Erschre­cken­de für mich ist: Die Kin­der, die Hil­fe brau­chen, wer­den immer jün­ger. Wir haben Buben und Mäd­chen im Kin­der­gar­ten­al­ter, die manch­mal so sehr aus der Spur gera­ten und aus­ti­cken, dass eine Erzie­he­rin allei­ne nicht mehr mit ihnen zurecht­kommt. Die­se Kin­der spren­gen das Sys­tem Kin­der­gar­ten, so wie wir es bis­lang ken­nen. Die brau­chen eine ganz inten­si­ve För­de­rung, wie wir sie zum Bei­spiel in unse­ren heil­päd­ago­gi­schen Tages­stät­ten anbie­ten. Sys­tem­spren­ger gibt es über­all, das ist kei­ne Fra­ge von Stadt oder Land. Auch in Marktl wer­den Jugend­li­che in Obhut genom­men, die von der Poli­zei auf der Stra­ße auf­ge­grif­fen wur­den. Das sind jun­ge Men­schen, die nicht schul­fä­hig sind, die nicht bereit sind, sich in irgend­ei­ner Wei­se auf Regeln ein­zu­las­sen. Und da sind wir gefor­dert: Wie begeg­nen wir als christ­li­che Ein­rich­tung die­sen Kin­dern und Jugend­li­chen, die an den Rand gera­ten oder über­se­hen wor­den sind?

Für Päd­ago­gen heißt das: sich wirk­lich ein­las­sen auf die Not des Kin­des, es beja­hen, auch wenn es Mist gebaut hat, ihm das Gefühl ver­mit­teln, als Geschöpf Got­tes gewollt zu sein. Das darf nichts Auf­ge­setz­tes sein, da geht’s um Haltungen.

Wie sehr prägt Fran­zis­kus die Arbeit im Kin­der­hilfs­werk der Kapuziner?
Fran­zis­kus ist in vie­ler­lei Hin­sicht ein Vor­bild. Auch wenn er kei­ne Jugend­päd­ago­gik ent­wi­ckelt hat, wie wir sie zum Bei­spiel von Don Bosco ken­nen, gibt es eini­ge fran­zis­ka­ni­sche Leit­ge­dan­ken, die für den Umgang mit Kin­dern und Jugend­li­chen sehr wert­voll sind. Fran­zis­kus hat zum Bei­spiel immer den Men­schen im Blick gehabt, er ist ihm auf Augen­hö­he begeg­net, hat jedem Ein­zel­nen sei­ne Wert­schät­zung ent­ge­gen­ge­bracht. Für Päd­ago­gen heißt das: sich wirk­lich ein­las­sen auf die Not des Kin­des, es beja­hen, auch wenn es Mist gebaut hat, ihm das Gefühl ver­mit­teln, als Geschöpf Got­tes gewollt zu sein. Das darf nichts Auf­ge­setz­tes sein, da geht’s um Hal­tun­gen. Vie­le unse­rer Mit­ar­bei­ter leben die­se Wer­te. Klar ist aber auch: Die jun­gen Men­schen, die in unse­ren the­ra­peu­ti­schen Ein­rich­tun­gen sind, haben Pro­ble­me. Mit einem reli­gi­ons­sen­si­blen Erzie­hungs­an­satz allein las­sen sich die­se nicht lösen.

Das Kin­der­hilfs­werk geht über­ra­schend offen mit der Fra­ge um, wie es sich finan­ziert. Ein­nah­men und Aus­ga­ben sind auf der Web­site des SLW für jeder­mann ein­seh­bar. Was steckt dahinter?
Unse­re Arbeit lässt sich durch die Tages­sät­ze, die wir bekom­men, nicht voll­um­fäng­lich finan­zie­ren. Durch staat­li­che För­de­run­gen decken wir rund 92 Pro­zent unse­rer Aus­ga­ben. Die Poli­ti­ker gehen davon aus, dass wir die ver­blei­ben­den acht Pro­zent als kirch­li­cher Trä­ger über Spen­den rein­be­kom­men. Das wol­len wir deut­lich machen: Wir sind auf die finan­zi­el­le Unter­stüt­zung aus der Bevöl­ke­rung ange­wie­sen. Zugleich for­dern wir immer wie­der die Sozi­al­po­li­ti­ker dazu auf, die Tages­sät­ze neu zu berech­nen. Ja, man muss mit Geld ver­ant­wort­lich umge­hen, aber uns setzt das zum Teil mas­siv unter Druck. Das SLW ist kei­ne Fir­ma, die etwas pro­du­ziert. Die Kin­der und Jugend­li­chen, um die wir uns küm­mern, sind für uns kein Objekt, an dem wir Geld ver­die­nen. Im sozia­len Bereich gibt es einen hohen Per­so­nal­an­teil und da kann man so leicht nichts spa­ren. Die Jugend­äm­ter erwar­ten immer noch mehr Qua­li­tät, for­dern neue Ange­bo­te. Dafür muss man erst mal ent­spre­chend aus­ge­bil­de­tes Per­so­nal fin­den. Wir haben den Anspruch, ein guter Arbeit­ge­ber zu sein, unse­re Mit­ar­bei­ter sol­len sich wohl­füh­len, ent­spre­chend muss der Lohn das widerspiegeln.

Sie ste­hen gemein­sam mit Johan­nes Erb­erts­eder und Ste­fan König an der Spit­ze des SLW. War­um die Kon­stel­la­ti­on eines Dreier-Vorstands?
Anders als mein Vor­gän­ger, Pater Hein­rich Gru­mann, bin ich nicht zu 100 Pro­zent im SLW. Ich ver­brin­ge nur die Hälf­te mei­ner Zeit hier, da ich auch noch unse­re Alt­öt­tin­ger Ordens­ge­mein­schaft in St. Kon­rad lei­te, in der Wall­fahrts­seel­sor­ge mit­ar­bei­te und in unse­rer Pro­vinz für Fra­gen der Prä­ven­ti­on zustän­dig bin. Ich kann schon rein zeit­lich gar nicht alle Auf­ga­ben von Pater Hein­rich über­neh­men. Des­halb haben wir die Berei­che auf­ge­teilt. Im Vor­stand ste­hen mit Johan­nes Erb­erts­eder und Ste­fan König zwei äußerst erfah­re­ne Kol­le­gen an mei­ner Sei­te, die seit vie­len Jah­ren hier sind. Bei­de haben sich in Umbruch­si­tua­tio­nen inner­halb des Kin­der­hilfs­wer­kes bewährt. 

Für was sind Sie als Prä­ses genau zuständig?
Zum einen reprä­sen­tie­re ich das Kin­der­hilfs­werk der Kapu­zi­ner nach innen und außen, ich bin sozu­sa­gen das Gesicht vom SLW. In die­ser Funk­ti­on will ich die Men­schen ver­stärkt dar­über infor­mie­ren, was wir tun und wie wir arbei­ten. Der gesell­schaft­li­che Rück­halt ist für unse­re Ein­rich­tun­gen eben­so wich­tig wie die finan­zi­el­le Unter­stüt­zung. Zum ande­ren bin ich auch im SLW Ansprech­part­ner, wenn es um Fra­gen der Prä­ven­ti­on geht. Und was mir ganz wich­tig ist: Ich will das christ­li­che Pro­fil unse­res Kin­der­hilfs­werks schär­fen, das Fran­zis­ka­ni­sche, das im SLW steckt, stär­ker beto­nen. Grund­le­gen­de Impul­se dafür habe ich bereits gesetzt. Das SLW hat vor zwei Jah­ren im Zuge unter­neh­mens­stra­te­gi­scher Pla­nun­gen eine Zukunfts­werk­statt ins Leben geru­fen, die ich als Pro­vin­zi­al der Kapu­zi­ner von Anfang an beglei­tet habe. Hier sind wert­vol­le Impul­se gereift, die es gemein­sam umzu­set­zen gilt.

Freu­en Sie sich darauf?
Es wird auf jeden Fall ein span­nen­der Pro­zess – und die Fuß­stap­fen mei­nes Vor­gän­gers sind groß! Pater Hein­rich, der am 15. Febru­ar in einem Fest­akt offi­zi­ell ver­ab­schie­det wird, war 35 Jah­re lang Prä­ses im SLW. Er hat maß­geb­li­che Ent­wick­lun­gen im För­der­ver­ein und in der Stif­tung nicht nur beglei­tet, son­dern ermög­licht. Es klingt viel­leicht banal: Aber erst mal wün­sche ich mir, die­sen Über­gang gut hin­zu­be­kom­men, eine gewis­se Kon­ti­nui­tät zu bewah­ren und vor allem die Unter­stüt­zung von den Leu­ten nicht zu ver­lie­ren, die uns auch bis­her wohl­ge­son­nen waren. Ohne sei­ne För­de­rer könn­te das SLW kei­ne so gute Arbeit leisten!

Das Inter­view führ­te Bea­te Spindler

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