Interview

FOTO: KAPUZINER/Adrian Müller

BR. ADRIAN HOLDEREGGER

lehr­te von 1982 bis 2012 theo­lo­gi­sche Ethik an der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Frei­burg. Der Schwei­zer Kapu­zi­ner ist seit 2009 bei der UNO als offi­zi­el­ler „Ambassa­dor for Peace“ tätig.

29. Dezem­ber 2022

Ein Schweizer Kapuziner an der UNO

Der Schwei­zer Kapu­zi­ner Br. Adri­an Hol­der­eg­ger ist bei den Ver­ein­ten Natio­nen als «Ambassa­dor for Peace» tätig. Der Ordens­mann berich­tet im Inter­view über sei­ne Auf­ga­be und die Chan­cen und Her­aus­for­de­run­gen des inter­re­li­giö­sen Dialogs. 

Br. Adri­an, Sie sind „UNO-Bot­schaf­ter für den Frie­den“. Wel­chen Frie­den ver­kün­den Sie?

Ich ver­kün­de kei­nen Frie­den – dies wäre zu anma­ßend, aber ich ver­su­che inner­halb die­ser rie­si­gen, welt­um­span­nen­den Insti­tu­ti­on in bestimm­ten Berei­chen mei­nen Frie­dens­bei­trag zu leis­ten, indem ich mei­ne poli­ti­sche Erfah­rung und mei­ne frie­dens­ethi­sche Kom­pe­tenz ein­zu­brin­gen ver­su­che. Ich habe mich noch als aka­de­mi­scher Leh­rer inten­siv mit Frie­dens­kon­zep­ten in den Reli­gio­nen aus­ein­an­der­ge­setzt. Dies kommt mir sehr zustat­ten bei den ver­schie­de­nen Akti­vi­tä­ten und Inter­ven­tio­nen, sei es am Sitz der UNO in Genf oder vor Ort, in Hot­spots poli­ti­scher Konflikte.

Wie kommt man zu einer Auf­ga­be bei der UNO?

Ich wur­de zum «Ambassa­dor für Peace» ernannt, als Alt-Bun­des­rat Joseph Deiss Prä­si­dent der UN-Gene­ral­ver­samm­lung war. Wir kann­ten uns und so hat er mich zu ver­schie­de­nen Kon­fe­ren­zen bei­gezo­gen, etwa zum The­ma Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus, Reli­gi­ons­plu­ra­lis­mus, Reli­gio­nen im Kon­flikt. Der Titel ist ein Ehren­ti­tel, der nicht mit einer kon­kre­ten Mis­si­on ver­se­hen ist, aber berech­tigt, an allen wich­ti­gen Sit­zun­gen der UN teil­zu­neh­men, sofern sie nicht geheim sind. In den letz­ten Jah­ren habe ich mei­ne Arbeit auf­grund ent­spre­chen­der Anfra­gen fokus­siert auf die Fra­ge nach dem Gewalt­po­ten­ti­al von Reli­gio­nen und ihrem frie­dens- und ver­söh­nungs­för­dern­den Beitrag.

Sie sind mit dem Leben von Franz von Assi­si ver­traut. Wel­che Inspi­ra­tio­nen gibt er Ihnen?

Es hat mich immer wie­der berührt, wie Fran­zis­kus noch auf dem Ster­be­bett – sei­nem berühm­ten Son­nen­ge­sang – eine Frie­dens­stro­phe hin­zu­ge­fügt hat, als er erfuhr, dass der Bischof von Assi­si und der Bür­ger­meis­ter mit­ein­an­der im Streit lagen. Fran­zis­kus ist bis in sei­ne letz­te Faser sei­nes Lei­bes vom Lebens­grund­satz geprägt, dort, wo Böses gesagt und getan wird, Gutes zu sagen und zu tun. Wir haben uns zu ver­ge­gen­wär­ti­gen, dass Fran­zis­kus in einer gewalt­durch­setz­ten Zeit leb­te: Städ­te haben ein­an­der bekriegt, Raub­rit­ter haben Land und Leu­te ver­un­si­chert, Päps­te haben zum bewaff­ne­ten Kreuz­zug auf­ge­ru­fen. Fran­zis­kus ist zutiefst davon über­zeugt, dass Kon­flik­te im poli­ti­schen Groß­raum wie in sozia­len klein­tei­li­gen Räu­men nicht über ver­ba­le und bra­chia­le Gewalt zu lösen sind, son­dern über Hin­hö­ren, Ver­ste­hen, Ver­mit­teln und Versöhnen.

Wie wur­de aus Fran­zis­kus’ Ein­stel­lung kon­kre­tes Handeln?

Er hat sei­nen Brü­dern auf­ge­tra­gen, jedem Haus, in das sie ein­tra­ten, Frie­den und Heil zu wün­schen. Fran­zis­kus hat die­se grund­sätz­li­che Ein­stel­lung selbst in einer groß­ar­ti­gen Ges­te in der Begeg­nung mit dem Sul­tan Melek-el-Kamel im ägyp­ti­schen Dami­et­te von 1219 gezeigt: er trat buch­stäb­lich zwi­schen das isla­mi­sche Heer des Sul­tans und das christ­li­che Heer der Kreuz­rit­ter, die im Begrif­fe stan­den, ein­an­der bis aufs Blut zu bekrie­gen. Fran­zis­kus hat dies – wir wür­den heu­te sagen – in der direk­ten Begeg­nung über die Diplo­ma­tie der gegen­sei­ti­gen Ver­stän­di­gung, über die Kraft des über­zeu­gen­den Wor­tes, das nicht auf Gewalt sinnt, son­dern auf Schlich­tung aus ist, zu ver­hin­dern ver­sucht. Für mich ist die­se Hal­tung von Fran­zis­kus eine Moti­va­ti­on für eine kon­tra­fak­ti­sche Les­art der Geschich­te, die der Gewalt nicht das letz­te Wort lässt, son­dern der Ver­stän­di­gung und dem fried­li­chen Mit­ein­an­der Vor­rang gibt.

2018 ver­ab­schie­de­ten rang­ho­he Reprä­sen­tan­ten sechs gro­ßer Welt­re­li­gio­nen am UNO-Sitz in Genf die Dekla­ra­ti­on für glei­che Bür­ger­rech­te vor dem Forum der UNO in Genf. Zehn Jah­re lang haben Sie mit ande­ren auf die­sen Moment hin­ge­ar­bei­tet. Was waren die größ­ten Her­aus­for­de­run­gen auf dem Weg zur Unterschrift?

Das war ein fei­er­li­cher und bewe­gen­der Moment, als im Juni 2018 in Genf mehr als hun­dert rang­ho­he Ver­tre­ter der Welt­re­li­gio­nen ein gemein­sa­mes Doku­ment unter­zeich­ne­ten, mit dem fes­ten Wil­len, ins­künf­tig zusam­men­zu­ar­bei­ten, im Hin­blick dar­auf, dass in den jewei­li­gen Ein­fluss­ge­bie­ten, Grund­rech­te durch­ge­setzt wer­den sol­len. Grund­rech­te, die in der glei­chen Wür­de aller Men­schen ihre Basis haben und trotz reli­giö­ser, kul­tu­rel­ler und poli­ti­scher Dif­fe­ren­zen nie­man­den aus­schlie­ßen dür­fen. Bemer­kens­wert war, dass der Vati­kan mit Kar­di­nal Tauran, dem dama­li­gen Lei­ter des «Päpst­li­chen Rats für den inter­re­li­giö­sen Dia­log», ver­tre­ten war, wie auch der Öku­me­ni­sche Welt­kir­chen­rat mit sei­nem Gene­ral­se­kre­tär Olav Fyk­se Tveit.

Wor­in lag die größ­te Schwie­rig­keit auf dem Weg zur Unterzeichnung?

Die­se bestand dar­in, für die Reli­gio­nen eine gemein­sa­me, ethisch-mora­li­sche Platt­form für das sozia­le und poli­ti­sche Enga­ge­ment in unse­rer Welt zu fin­den. Dass man sich nach Jahr­zehn­ten der ergeb­nis­lo­sen Dis­kus­si­on auf das Kon­zept der Grund­rech­te, die allen Men­schen zukom­men, eini­gen konn­te, scheint mir ein gro­ßer Durch­bruch zu sein. Und dar­auf bin ich heu­te noch stolz, dass ich die­ses Doku­ment mit­un­ter­zeich­nen durfte.

Ver­schie­dent­lich habe ich den Ein­druck, dass Reli­gio­nen mit den Men­schen­rech­ten so ihre Pro­ble­me haben. Die Dekla­ra­ti­on von 2018 spricht von Bür­ger­rech­ten. Wie­so nun die­se Unterscheidung?

Das ist eine prä­zi­se Beob­ach­tung. Seit den 1960er-Jah­ren wur­de in vie­len Reli­gi­ons­ge­sprä­chen ver­sucht, die Men­schen­rech­te, wie sie von der UN von 1948 pro­kla­miert wur­den, als gemein­sa­me Basis des Han­delns anzu­er­ken­nen. Die Wider­stän­de kamen aber fast aus­schließ­lich aus der isla­mi­schen Welt, weil man Schwie­rig­kei­ten damit hat­te, das gött­li­che Gesetz der Scha­ria, dem mora­li­schen Anspruch der Men­schen­rech­te unter­zu­ord­nen. Zum Bei­spiel gibt es das zen­tra­le Men­schen­recht der Reli­gi­ons­frei­heit, das auch einen Reli­gi­ons­wech­sel vor­sieht. Das isla­mi­sche Recht schließt einen Reli­gi­ons­wech­sel kate­go­risch aus. Ähn­li­ches gilt auch für die Frauenrechte.

Da wird es schwierig!

Die­se Patt­si­tua­ti­on war nicht zu über­win­den, bis im inter­re­li­giö­sen Dia­log ein Aus­weg gefun­den wur­de: die Grund­rech­te. Wie das? In der isla­mi­schen Tra­di­ti­on gibt es die berühm­te «Gemein­de­ord­nung» von Medi­na (622), die von Moham­med ver­fasst sein soll. Dar­in ist von Grund­rech­ten die Rede. Rein prag­ma­tisch und ohne reli­giö­sen Bezug ent­wirft hier Moham­med ein poli­ti­sches Kon­zept, das auch nicht­mus­li­mi­schen Bür­gern die glei­chen poli­ti­schen und kul­tu­rel­len Rech­te zuge­steht, etwa jüdi­schen oder nicht­christ­li­chen Min­der­hei­ten. Dies ist nun der Anknüp­fungs­punkt für wei­te­re Dis­kus­sio­nen und Wei­ter­ent­wick­lun­gen des inter­re­li­giö­sen Dialogs.

Span­nend! Hans Küng beton­te sehr, dass es einen Welt­frie­den nur mit einem Frie­den unter den Reli­gio­nen gibt. Kann man die Dekla­ra­ti­on von 2019 in die­sem Sinn sehen?

Das ist eine gute Fra­ge. Hans Küng kommt das gro­ße Ver­dienst zu, die inter­kon­fes­sio­nel­le Öku­me­ne auf die Öku­me­ne (d.h. auf das Gemein­sa­me) der Reli­gio­nen aus­ge­wei­tet zu haben. Er ver­such­te im «Welt­ethos» eine gemein­sa­me ethi­sche Basis aller gro­ßen Reli­gio­nen zu for­mu­lie­ren. Im Kern ent­sprach dies den zehn Gebo­ten, wie wir sie prak­tisch in allen gro­ßen Reli­gio­nen fin­den. Das war ein groß­ar­ti­ges Unter­fan­gen, das im «Welt­kon­zil der Reli­gio­nen» in Chi­ca­go von 1992 einen Höhe­punkt fand und zu einer Unter­zeich­nung einer gemein­sa­men Dekla­ra­ti­on führ­te. Sei­ne Devi­se, dass es kei­nen Welt­frie­den gibt, wenn es kei­nen Frie­den unter den Reli­gio­nen gibt, gilt selbst­ver­ständ­lich nach wie vor. Das Pro­blem die­ser Initia­ti­ve lag vor allem dar­in – nebst inter­ner theo­lo­gi­schen Schwie­rig­kei­ten –, dass sie nicht von der inter­na­tio­na­len Staa­ten­ge­mein­schaft, der UNO, auf­ge­grif­fen und sank­tio­niert wur­de. Die aktu­el­le Initia­ti­ve der Reli­gio­nen ist dage­gen vom gegen­wär­ti­gen Gene­ral­se­kre­tär der UNO, Anto­nio Gut­ier­rez, aus­drück­lich gewünscht und gutgeheißen.

Wel­che Fol­gen kann man drei Jah­re nach dem Unter­zeich­nen der Dekla­ra­ti­on fest­stel­len? Hat sich schon etwas ver­än­dert? Was ist auf dem Weg?

Die Saat geht manch­mal da auf, wo man sie nie­mals ver­mu­tet. Bereits am 4. Febru­ar 2019 traf sich Papst Fran­zis­kus mit Groß­i­mam Ahmed Moha­med el-Tay­eb in Abu Dha­bi. Im Doku­ment, das sie gemein­sam  unter­zeich­net haben, wer­den grund­le­gen­de Ideen der Dekla­ra­ti­on der Reli­gio­nen auf­ge­nom­men. Das fei­er­lich unter­zeich­ne­te Doku­ment heißt: «Über die Geschwis­ter­lich­keit aller Men­schen für ein fried­li­ches Zusam­men­le­ben in der Welt.» Hier erken­nen wir einer­seits die Hand­schrift des Paps­tes, indem er das urfran­zis­ka­ni­sche The­ma der Geschwis­ter­lich­keit im Gespräch mit dem Islam zum zen­tra­len Anlie­gen erklärt. Ande­rer­seits wird auf die Grund­rech­te ver­wie­sen – hier bringt sich der Islam ein –auf­grund der glei­chen Wür­de, die allen Men­schen ver­lie­hen ist. Daher sind sie geru­fen, als Brü­der und Schwes­tern zusam­men­zu­le­ben und auf der Erde «die Wer­te des Guten, der Lie­be und des Frie­dens zu ver­brei­ten». Damit sind selbst­ver­ständ­lich die Detail­fra­gen der Umset­zung der Geschwis­ter­lich­keit in Recht und Poli­tik nicht gelöst. Hier ist aber ein star­kes Zei­chen gesetzt.

Hat­te dies eine Wir­kung auf inter­na­tio­na­ler, poli­ti­scher Ebene?

Ja, erfreu­li­cher­wei­se. Manch­mal blei­ben Stich­wor­te und Kern­ge­dan­ken hän­gen. Die «Geschwis­ter­lich­keit», so wie sie von Papst Fran­zis­kus und vom Groß­i­mam el-Tay­eb pro­kla­miert wur­de, ist vom Gene­ral­se­kre­tär der UNO im Febru­ar 2021 zu einem Welt­tag der UNO erklärt wor­den. Damit hat das Uran­lie­gen der Ver­samm­lung Welt­re­li­gio­nen von 2018 auf Umwe­gen die Büh­ne der Welt­po­li­tik erreicht.

Was ist Ihnen in der Arbeit bei der UNO wich­tig geworden? 

Man ver­sucht, die UNO immer an ihren gro­ßen poli­ti­schen Erfol­gen zu mes­sen. Sicher­lich ist vie­les defi­zi­tär und reform­be­dürf­tig. Ich glau­be aber, dass man die Fra­ge umge­kehrt stel­len soll­te: Was wäre, wenn es die UNO nicht gäbe? Es gäbe die vie­len, viel­fach nicht erwähn­ten Inter­ven­tio­nen der Hun­ger­be­kämp­fung, der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung, der Bil­dungs­of­fen­si­ven, der loka­len Streit­ver­mitt­lung usw.  nicht. Die Welt wäre wohl an Huma­ni­tät um eini­ges ärmer.

Weih­nach­ten gilt als Fest des Frie­dens. Vie­len Men­schen ist die­se Zeit sehr wich­tig. Aber was hat nun Weih­nach­ten mit Frie­den zu tun?

Die Evan­ge­li­en sagen uns, dass Weih­nach­ten das Fest des Frie­dens und der Ver­söh­nung ist, weil Gott in der Eini­gung abso­lu­ter Gegen­sät­ze, des Gött­li­chen und des End­li­chen, in Jesus einen Weg auf­ge­zeigt hat, wie Gegen­sät­ze über­wun­den, Grä­ben zuge­schüt­tet und Wun­den geheilt wer­den kön­nen. Wenn wir die­ses Fest jedes Jahr aufs Neue fei­ern, heißt das, dass Frie­de, Ver­stän­di­gung, Gerech­tig­keit ein fra­gi­les Gut um das wir immer wie­der neu rin­gen müs­sen. Das zeigt uns die gegen­wär­ti­ge geo­po­li­ti­sche Lage beson­ders. Nichts ist selbstverständlich.

Dan­ke für das Gespräch!

Das Inter­view führ­te der Kapu­zi­ner Br. Adri­an Mül­ler und ist zuerst in der Zeit­schrift ITE erschienen. 

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