Interview

FOTO: KAPU­ZI­NER

BR. CHRISTOPHORUS GOEDEREIS

ist Pro­vin­zi­al der Deut­schen Kapuzinerprovinz. 

10. März 2022

Interview: „Machtpositionen sollten in der Kirche zeitlich begrenzt sein“

Brau­chen wir eine staat­li­che Auf­ar­bei­tung der Miss­brauchs­fäl­le? Sol­len Bischö­fe auf Zeit gewählt wer­den? Was ist die Rol­le der Orden? Br. Chris­to­pho­rus Goe­de­r­eis, Pro­vin­zi­al der Deut­schen Kapu­zi­ner­pro­vinz, nimmt im Inter­view Stel­lung zu drän­gen­den Fragen. 

Br. Chris­to­pho­rus, sind Sie in die­sen Zei­ten ger­ne Katholik?

Ja, ich bin in die­sen Zei­ten nicht weni­ger ger­ne Katho­lik als zu ande­ren Zei­ten. Ich habe mir bis­her nicht die Fra­ge gestellt, aus der Kir­che aus­zu­tre­ten. Den­noch: Die Zei­ten sind bedrän­gend und dra­ma­tisch. Es ist viel in Bewegung.

Ver­ste­hen Sie Chris­ten, die nicht mehr Teil die­ser Kir­che sein wollen?

Ja, das tue ich. Mir ist auch klar, dass ich eine pri­vi­le­gier­te Rol­le habe. Ers­tens weil ich Haupt­amt­li­cher bin. Und zwei­tens, weil ich kein nor­ma­ler Pries­ter oder pas­to­ra­ler Mit­ar­bei­ter bin, son­dern fran­zis­ka­ni­scher Ordens­mann mit einem lie­ben­den, aber auch kri­tisch distan­zier­ten Ver­hält­nis zur Kir­che. Ich lie­be mei­ne Kir­che. Aber ich kann Leu­te ver­ste­hen, die vor dem Kir­chen­aus­tritt ste­hen und ihn auch vollziehen.

Ja, wir brau­chen eine staat­li­che Aufarbeitung.

In wel­chem Zustand befin­det sich die Kirche?

Die Kir­che befin­det sich in einer ihrer grö­ße­ren Trans­for­ma­ti­ons­pha­sen der Geschich­te. Ich will jetzt nicht zu his­to­ri­schen Super­la­ti­ven grei­fen und sagen: so dra­ma­tisch wars noch nie. Aber es gibt schon eini­ges an die­ser Kri­se, das ein­zig­ar­tig ist. In ers­ter Linie ist das der Ver­trau­ens­ver­lust, der vor allem mit Miss­brauchs­skan­da­len und dem sys­te­mi­schen Umgang damit zu tun hat. Dazu kommt der Tran­szen­denz­ver­lust vie­ler Menschen.

Sie spre­chen den Miss­brauchs­skan­dal an: Soll­te der Staat die Auf­ar­bei­tung übernehmen?

Ja, wir brau­chen eine staat­li­che Auf­ar­bei­tung. Ich glau­be zwar nicht, dass die­se zu grund­sätz­lich ande­ren Ergeb­nis­sen kommt. Aber um Ver­trau­en wie­der­her­zu­stel­len, gibt es nur die­sen Weg.

Brau­chen wir die Kir­che noch in die­ser Gesellschaft?

Ich möch­te die Fra­ge so beant­wor­ten: Wir brau­chen in die­ser Gesell­schaft und zu jeder Zeit Gott und den Glau­ben. Wir brau­chen Tran­szen­denz und die Aus­rich­tung des Men­schen auf etwas Grö­ße­res. Zusam­men­halt, Gesell­schaft, Soli­da­ri­tät, der Umgang mit der Schöp­fung, das alles hat mit Glau­ben, Reli­gi­on und Gott zu tun. Und natür­lich brau­chen wir auch die Kir­che, nur muss die­se ihre Rol­le inner­halb von Staat und Gesell­schaft in die­sen Brei­ten­gra­den neu definieren.

Wie kann man das Ver­trau­en der Men­schen wiedererlangen?

Ver­lo­re­nes Ver­trau­en wie­der­zu­ge­win­nen ist schwie­rig. Es fängt schon bei den Per­so­nen an: Die­je­ni­gen, die das Ver­trau­en ver­lo­ren haben, sol­len ver­su­chen, es wie­der­zu­er­lan­gen. Wie soll das gehen?

Und, wie soll das gehen?

In fran­zis­ka­ni­schen Orden ist das mit den Ämtern und der Macht eigent­lich ganz gut gere­gelt. Sämt­li­che Amts­zei­ten sind zeit­lich begrenzt. Dadurch wer­den die Men­schen nicht bes­ser, aber Dyna­mi­ken und die Art der Aus­übung von Macht ver­än­dern sich. Um auf die aktu­el­le Situa­ti­on zurück­zu­kom­men: Die­je­ni­gen, denen Vor­wür­fe gemacht wer­den, kön­nen nicht die­je­ni­gen sein, die das Ver­trau­en zurück­ge­win­nen müs­sen. Das funk­tio­niert nicht.

Wäre eine Wahl auf Zeit auch für Bischö­fe sinnvoll?

Ja, ganz klar! Höhe­re Macht­po­si­tio­nen soll­ten in der Kir­che prin­zi­pi­ell zeit­lich begrenzt sein. Wenn ein Bischof zwei­mal für sie­ben Jah­re gewählt wer­den kann, dann ist das für mich eine sinn­vol­le Begren­zung. Nach der ers­ten Amts­zeit könn­te man das Ergeb­nis im guten christ­li­chen Sin­ne eva­lu­ie­ren. Auch Bischö­fe und sogar Päps­te sind lern­fä­hig. Kurz: Die zeit­li­che Begren­zung ist sicher nicht die Lösung aller Pro­ble­me, kann aber einen wesent­li­chen Bei­trag leisten.

Frau­en in geweih­ten Ämtern: Ist das auch Teil der Lösung?

Ja, das wür­de ich so sehen. Mein Glau­be und mei­ne Lebens­er­fah­rung zei­gen mir, dass Frau­en im Pries­ter­amt ein guter Schritt für die Kir­che wären. Glei­ches gilt im Übri­gen für die Auf­he­bung des Pflicht­zö­li­bats. Die­se Ansät­ze brin­gen sicher nicht das Para­dies auf Erden, ich wür­de mich aber freu­en, wenn die Kir­che hier end­lich weiterkäme.

Plu­ri­f­or­mi­tät in Ein­heit, und dazu gehört auch ein biss­chen Expe­ri­men­tier­freu­de im Regionalen.

Wer­den Sie das noch erleben?

In der Hoff­nung, dass ich noch ein paar Jah­re zu leben habe, traue ich vor allem dem Hei­li­gen Geist zu, dass vie­le die­ser Ent­wick­lun­gen am Ende schnel­ler kom­men als man­che glau­ben. Also: ja!

Ist der Syn­oda­le Weg ein guter Weg für die Kirche?

Er ist ein wich­ti­ger Bei­trag, vor allem für Deutsch­land und vor dem Hin­ter­grund der Miss­brauchs­de­bat­te. Manch­mal habe ich aber auch etwas Bauch­schmer­zen dabei, denn für mich ist noch nicht geklärt, wie die The­men in die Welt­kir­che hin­ein­ge­tra­gen wer­den. Hier sind Ent­täu­schun­gen vor­pro­gram­miert, vor allem, was die Zeit­läu­fe angeht. Den­noch: Es ist gut, dass wir die­sen Weg gehen. Das Land der Refor­ma­ti­on und Auf­klä­rung soll­te für den Weg der Gesamt­kir­che wich­ti­ge Impul­se geben.

Kann es das in der katho­li­schen Kir­che geben: regio­na­le Unter­schie­de bei wich­ti­gen Fragen?

Natür­lich kann es in einer Welt­kir­che regio­na­le Unter­schie­de geben, bei uns im Orden ist das ja auch so! Plu­ri­f­or­mi­tät in Ein­heit, und dazu gehört auch ein biss­chen Expe­ri­men­tier­freu­de im Regio­na­len. Ich wür­de mir mehr Gestal­tungs­frei­heit wün­schen als sie bis­lang in der Kir­che üblich war. Den­noch sehe ich natür­lich auch die Pro­ble­me, etwa bei der Fra­ge des Pries­ter­tums. In einem Bis­tum gibt es geweih­te, ver­hei­ra­te­te Pries­ter – und 20 Kilo­me­ter ent­fernt das Pflicht­zö­li­bat? So recht kann ich mir das nicht vorstellen.

Wel­che Rol­le soll­ten die Orden in die­sem Reform­pro­zess spielen?

Ganz fromm gesagt: Sie kön­nen für die­se Ent­wick­lung der Kir­che beten. Und dann haben die Orden ja auch durch­aus eine eige­ne Stel­lung und etwas mehr Nar­ren­frei­heit als ande­re. Ordens­leu­te kön­nen sich an man­chen Stel­len ein­fa­cher soli­da­ri­sie­ren. Sie soll­ten einen Raum des Dia­logs und des Aus­tau­sches bie­ten für Leu­te, die schon wei­ter sind, als es in ihren Augen die römi­sche Kurie sein soll­te. Klös­ter waren immer auch Anders-Orte, und das soll­te so blei­ben. Es geht um die Kon­trol­le von Macht, um die Ein­be­zie­hung von Lai­en, da kön­nen die Orden Impul­se set­zen. Nah an der Rea­li­tät der Men­schen und mit dem kla­ren Pro­fil, das uns das Evan­ge­li­um vorgibt.

Vie­len Dank für das Gespräch!

Das Inter­view führ­te Tobi­as Rauser

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