Interview

FOTO: KAPUZINER/LEMRICH

BR. STEFAN WALSER

ist seit 2006 Kapu­zi­ner. Der Theo­lo­ge ist Juni­or­pro­fes­sor für Fun­da­men­tal­theo­lo­gie und christ­li­che Iden­ti­tä­ten an der Uni in Bonn. 

23. Janu­ar 2023

Lehre an der Uni Bonn: „Das Gegengift zum Fundamentalismus“

Br. Ste­fan Wal­ser arbei­tet als Pro­fes­sor für Fun­da­men­tal­theo­lo­gie in Bonn, am Wochen­en­de lebt er ab März in Frank­furt. Ein Inter­view über Fun­da­men­ta­lis­mus, Theo­rie und Pra­xis, inter­fran­zis­ka­ni­sche Zusam­men­ar­beit und Berufung. 

Br. Ste­fan, bei Ihnen ist im letz­ten hal­ben Jahr viel pas­siert. Sie arbei­ten nun als „Pro­fes­sor für Fun­da­men­tal­theo­lo­gie“ in Bonn. Was ist denn eigent­lich „Fun­da­men­tal­theo­lo­gie“?
Fun­da­men­tal­theo­lo­gie ist die Grund­la­gen­wis­sen­schaft der Theo­lo­gie. Hier wird sehr grund­sätz­lich geklärt, was Theo­lo­gie über­haupt ist, war­um sie „Wis­sen­schaft“ ist, wie sie metho­disch vor­geht, arbei­tet, argu­men­tiert. Dann wer­den wie­der­um sehr fun­da­men­ta­le Fra­gen gestellt, wie: Was soll eigent­lich Reli­gi­on? Wen oder was ver­ste­hen wir unter den vier Buch­sta­ben „Gott“? War­um gibt es Kir­che und was ist ihre Daseinsberechtigung?

„Fun­da­men­tal“ ver­bin­den man­che mit „fun­da­men­ta­lis­tisch“.
Ja, das stimmt. Aber das Gegen­teil ist der Fall. Bei all den genann­ten Fra­gen wird das Gespräch mit Anders­den­ken­den und Kri­ti­kern gesucht, auch mit ande­ren Reli­gio­nen oder mit Nicht-Glau­ben­den. Die Fun­da­men­tal­theo­lo­gie ist also nach außen hin ori­en­tiert, sozu­sa­gen das „Außen­mi­nis­te­ri­um“ der Theo­lo­gie, und ver­sucht daher mög­lichst all ihre Hypo­the­sen sehr trans­pa­rent zu machen und nicht nur in kirch­li­cher Bin­nen­spra­che zu spre­chen. Weil Fun­da­men­tal­theo­lo­gie grund­le­gen­de Fra­gen zum The­ma macht, und nicht ein­fach sagt „Das ist halt so!“, ist sie das Gegen­teil und das Gegen­gift zum Fundamentalismus.

Ich lebe unter der Woche in Bonn und erle­be eine wun­der­ba­re und unkom­pli­zier­te fran­zis­ka­ni­sche Gast­freund­schaft bei unse­ren Mit­brü­dern Franziskanern.

Sie sind in Bonn „Juni­or­pro­fes­sor“, was bedeu­tet das?
Im Sep­tem­ber 2022 wur­de ich als Juni­or­pro­fes­sor für Fun­da­men­tal­theo­lo­gie und christ­li­che Iden­ti­tä­ten ernannt und ver­ei­digt. Eine Juni­or­pro­fes­sur ist ein Ver­fah­ren, um wis­sen­schaft­li­che Nach­wuchs­kräf­te recht­zei­tig zu bin­den und in eine Pro­fes­sur zu brin­gen. Das heißt kon­kret, dass ich bereits Pro­fes­sor mit allen Rech­ten und Pflich­ten bin. Ich habe aber noch ein klei­ne­res Stun­den­de­pu­tat – im Moment sind das „nur“ vier Stun­den Leh­re in der Woche – habe dafür aber mehr Zeit, mei­nen eige­nen Schwer­punkt in der For­schung aus­zu­bau­en und mehr zu schrei­ben. Aller­dings ist das Gute dar­an, dass mei­ne Pro­fes­sur einen soge­nann­ten „ten­ure track“ hat, das heißt: Nach einer erfolg­rei­chen Eva­lua­ti­on soll der Lehr­stuhl auf eine Plan­stel­le ver­ste­tigt werden.

Wie sind denn Ihre die ers­ten Mona­te gelaufen?
Mein ers­tes Semes­ter ist geschafft. Es war anstren­gend, aber vor allem moti­vie­rend und gera­de­zu beflü­gelnd. Das liegt vor allem dar­an, dass ich in Bonn ganz vie­le Men­schen ange­trof­fen habe, die mich sehr herz­lich emp­fan­gen haben und mir als Neu­ling jede Hil­fe und jede Info gege­ben haben. Eine gewis­se rhei­ni­sche Freund­lich­keit und Leich­tig­keit machen alles ein­fa­cher. Die Leh­re – also Vor­le­sung und Semi­nar – hat echt Freu­de gemacht und ich bin zufrie­den. Span­nend wur­de es immer da, wo Fra­gen auf­tau­chen, wo Dis­kus­si­on ent­steht und wo ich zuschau­en darf, wenn die Stu­die­ren­den dazu­ler­nen und ein neu­er Hori­zont auf­geht. Und sei es nur, indem ein unge­lös­tes theo­lo­gi­sches Pro­blem dazu­kommt, von dem sie vor­her noch gar nichts ahnten.

Was ist Bonn für eine Uni?
Bonn ist seit 2019 eine von elf Exzel­lenz­uni­ver­si­tä­ten in Deutsch­land und hat eine sehr tra­di­ti­ons­rei­che katho­li­sche Fakul­tät. In der Fun­da­men­tal­theo­lo­gie, also mei­nem Fach, lehr­te etwa Anfang der 60er-Jah­re ein jun­ger Pro­fes­sor namens Joseph Ratz­in­ger, der vor kur­zem ver­stor­be­ne Papst Bene­dikt XVI. Heu­te ist die Fakul­tät mit 16 Lehr­stüh­len voll aus­ge­baut und mit allen theo­lo­gi­schen Dis­zi­pli­nen ver­tre­ten. Span­nend für uns ist, dass es auch eine evan­ge­li­sche Schwes­ter-Fakul­tät und ein Alt-Katho­li­sches Semi­nar gibt.

Ich lie­be tief­ge­hen­des, ernst­haf­tes theo­lo­gi­sches Nach­den­ken über Gott und die Welt. Und ich hal­te das für sehr wichtig.

Was waren Ihre The­men in die­sem ers­ten Semester?
Ich habe eine Ein­füh­rungs­vor­le­sung in die Fun­da­men­tal­theo­lo­gie gehal­ten. Für den Ein­stieg war das genau das rich­ti­ge, ein Rund­um­schlag. Außer­dem habe ich ein Lek­tü­re­se­mi­nar ange­bo­ten, wo wir theo­lo­gi­sche Tex­te aus ver­schie­de­nen Jahr­hun­der­ten gele­sen haben. Das Semi­nar hieß „Wet­ten, dass…?“ und ging einem ein­zi­gen Gedan­ken­gang nach: näm­lich der Fra­ge, ob man erst ver­ste­hen muss, bevor man glau­ben darf, oder ob man nicht umge­kehrt erst zu glau­ben begin­nen soll­te, um dann mit dem Ver­stand zu fol­gen. Der Phi­lo­soph Blai­se Pas­cal hat ein­mal eine „Wet­te“ abge­schlos­sen, dass der zwei­te Weg der sinn­vol­le­re ist.

Wo woh­nen Sie unter der Woche?
Ich lebe unter der Woche in Bonn, mit­ten in der Stadt am schö­nen Bon­ner Müns­ter und erle­be eine wun­der­ba­re und unkom­pli­zier­te fran­zis­ka­ni­sche Gast­freund­schaft bei unse­ren Mit­brü­dern Fran­zis­ka­nern. Wir leben dort zu viert in einer net­ten klei­nen Woh­nung. Im Neben­ge­bäu­de ist der Sitz des gro­ßen Hilfs­werks „Fran­zis­ka­ner hel­fen“, das von ver­schie­de­nen Ordens­pro­vin­zen in Euro­pa getra­gen wird und Hilfs­pro­jek­te in der gan­zen Welt unter­stützt und organisiert.

Am Wochen­en­de woh­nen Sie ab Ende Febru­ar in Frank­furt am Main.
So ist es. Mei­ne kapu­zi­ni­sche Hei­mat ist die Gemein­schaft in Frank­furt, Lieb­frau­en. Von hier aus bringt mich die Bahn ganz schnell nach Bonn. Aber es ist mehr als eine Wochen­end-Ehe. Wann immer ich am Wochen­en­de, den Fei­er­ta­gen oder Semes­ter­fe­ri­en hier bin, brin­ge ich mich sehr ger­ne als Pries­ter in die City­se­el­sor­ge mit ein.

Schon lan­ge träu­me ich von der Idee, dass die männ­li­chen Zwei­ge des Fran­zis­kus­or­dens stär­ker koope­rie­ren und sich wie­der­ver­ei­ni­gen. Jetzt hat es sich mit mei­nem Ruf nach Bonn erge­ben, dass ich halb in einem Kapuziner‑, halb in einem Fran­zis­ka­ner­kon­vent lebe. So fan­ge ich mit der Ver­ei­ni­gung ganz prak­tisch bei mir an.

Es macht mir gro­ße Freu­de, mit jun­gen Men­schen neue Hori­zon­te zu erschließen.

Was treibt Sie an als Wissenschaftler?
Mein Leben lang ver­su­che ich, Theo­rie und Pra­xis zu ver­bin­den. Es gab in mei­nem Ordens­le­ben Jah­re, wo ich stär­ker in der Seel­sor­ge tätig war und ande­re, in denen ich mehr Theo­lo­gie trei­ben konn­te. Ich möch­te kei­nes von bei­dem mis­sen. Ich lie­be tief­ge­hen­des, ernst­haf­tes theo­lo­gi­sches Nach­den­ken über Gott und die Welt. Und ich hal­te das für sehr wich­tig. Kürz­lich erst bin ich auf das schö­ne Wort gesto­ßen: „Es gibt nichts Prak­ti­sche­res als eine gute Theo­rie.“ Das fin­de ich tatsächlich.

Glau­be und Kir­che sind im Umbruch.
Ja, in der Tat. Und in die­sen Umbrü­chen sind nicht nur Aktio­nen wich­tig, son­dern vie­les muss auch neu gedacht wer­den. Wir dür­fen nicht mehr theo­lo­gi­sche Ant­wor­ten geben, die buch­stäb­lich nicht gefragt sind. Mei­ne Auf­ga­be ist es nun, jun­ge Theo­lo­gin­nen und Theo­lo­gen fit zu machen, um die gro­ßen Mensch­heits­the­men Glau­be und Reli­gi­on inner­halb und außer­halb von Kir­che wach zu halten.

Was ist Ihnen wich­tig in der Arbeit mit jun­gen Leuten?
Die Bon­ner Fakul­tät ist die theo­lo­gi­sche Aus­bil­dungs­stät­te für das Erz­bis­tum Köln. Ich darf also Pries­ter­amts­kan­di­da­ten, Stu­die­ren­de auf Lehr­amt und Stu­die­ren­de in ganz ver­schie­de­nen Bache­lor- und Magis­ter-Stu­di­en­gän­gen unter­rich­ten. Es macht mir gro­ße Freu­de, mit jun­gen Men­schen zu den­ken. Und mit ihnen durch neu­es Wis­sen und gemein­sa­mes Ent­de­cken neue Hori­zon­te zu erschlie­ßen. Ich darf einen Bil­dungs­weg beglei­ten, der sie ent­de­cken lässt, wo sie spä­ter als Theo­lo­gin oder Theo­lo­ge arbei­ten möch­ten. Das ist wunderbar.

Sie sind auch Kapu­zi­ner, ein fran­zis­ka­ni­scher Ordens­mann. Wel­che Rol­le spielt das in Ihrem Job als Professor?
Zual­ler­erst muss ich dazu sagen: Ich unter­rich­te an einer staat­li­chen Ein­rich­tung, die vom Steu­er­zah­ler finan­ziert wird. Mein Arbeit­ge­ber ist nicht die Kir­che. Die Uni Bonn ist sehr groß und ich fin­de vor allem den Aus­tausch mit ande­ren Dis­zi­pli­nen unglaub­lich berei­chernd. Aber zur Fra­ge: Der­zeit gibt es an der Uni­ver­si­tät Bonn genau 636 Pro­fes­so­rin­nen und Pro­fes­so­ren, dar­un­ter sind zwei Ordens­leu­te. Als Kapu­zi­ner brin­ge ich zum einen vie­le inter­na­tio­na­le Kon­tak­te mit. Und, auch wenn mir völ­lig klar ist, dass ich als Wis­sen­schaft­ler an der Uni ange­stellt bin und nicht etwa als Seel­sor­ger, bin und blei­be ich natür­lich Kapu­zi­ner. Ich brin­ge in mei­ne Leh­re – wie jeder ande­re Dozie­ren­de auch – mei­ne bis­he­ri­gen Lebens­er­fah­run­gen mit ein, die bei mir stark mit mei­nem Glau­ben und mei­nem Leben im Orden zusammenhängen.

Sie sind zum Pro­fes­sor „beru­fen“ worden.
Ja, das ist so. Aber Sie haben ja eben die Fra­ge for­mu­liert, was mein Kapu­zi­ner­sein für mei­nen neu­en „Job“ bedeu­tet. Und das ist auch voll­kom­men rich­tig gefragt. In den letz­ten Mona­ten wur­de mir zwar immer wie­der zur „Beru­fung“ nach Bonn gra­tu­liert. Und ich füh­le mich auch zur Wis­sen­schaft beru­fen, zu for­schen und leh­ren. Aber mei­ne geist­li­che inne­re Beru­fung zum Ordens­le­ben als Kapu­zi­ner, die habe ich schon vor vie­len Jah­ren erhal­ten und ich bin sehr dank­bar, dass ich ihr an ver­schie­de­nen Orten und mit ganz ver­schie­de­nen Auf­ga­ben bis heu­te fol­gen konnte.

Vie­len Dank für das Gespräch!

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