Bild: Kapuziner/Hoàng Lê
BR. Paulus Terwitte
wurde 1959 geboren und trat 1978 dem Kapuzinerorden bei. Zurzeit lebt er im Kapuzinerkovent in Frankfurt am Main.
„Meine Macht ist die Würde, die in mir liegt“
Was bedeutet Macht? Wie kann ich diese gut in der Beziehung zu anderen einsetzen? Hat die Kirche ein Machtproblem? Ein Gespräch über die Bevollmächtigung durch Gott, Charakterköpfe im Orden und Machtlosigkeit in der Krise. Mit dem Kapuziner Br. Paulus Terwitte.
Bruder Paulus, ist Macht gut oder schlecht?
Macht ist ein Hilfsinstrument. Das ist wie bei einem Messer. Man kann Menschen damit heilen oder töten.
Was verbinden Sie persönlich mit dem Wort Macht?
Ich verbinde damit den Begriff „Vollmacht“. Ich bin von Gott bevollmächtigt. Meine Macht ist die Würde, die in mir liegt. Ich will die Würde von anderen respektieren und mit anderen in Resonanz kommen. Wenn ich dabei die Würde anderer verletze, dann missbrauche ich meine Macht.
Sind Sie, Bruder Paulus, mächtig?
Ja, das würde ich schon sagen. Ich bin mächtig als Mensch, einfach so, weil ich da bin. Und dann habe ich Fähigkeiten, die mir helfen bei meinen Aufgaben in der Welt. Ich kann gut reden ohne ein Papier in der Hand zu halten, druckfähig formulieren, habe eine für andere angenehme Stimme. Andere können Bilder malen, andere schweigen. Jeder Mensch ist mächtig.
Macht sollte zum Menschen hinführen und ihm seine Macht bewusst machen. Das versuche ich. Ich denke und hoffe, dass Jesus das genauso gesehen hätte.
Das ist nicht alles, denn dazu kommt eine Medienmacht. Bruder Paulus ist eine Marke. Bruder Paulus bloggt, gibt Interviews, hat einen Podcast und tausende Follower bei Facebook, Twitter oder Instagram. Die Bild-Zeitung berichtet auch mal über eine erfolgreiche Diät, Sie hatten früher eine Fernsehsendung bei SAT1. Heute gestalten Sie erfolgreich den ZDF-Fernsehgottesdienst.
Ja, natürlich. Ein ZDF-Fernsehgottesdienst hat eine Million Zuschauer. Aber das ist nicht nur mein Verdienst, sondern ein Zusammenspiel von echten Profis. Man hört mir zu, das ist mir bewusst. Aber bei aller Freude darüber: Die Kirche soll sich um Seelsorge kümmern und nicht anfangen, Zählsorge zu betreiben. Macht sollte zum Menschen hinführen und ihm seine Macht bewusst machen. Das versuche ich. Ich denke und hoffe, dass Jesus das genauso gesehen hätte.
Kein bisschen Eitelkeit, kein Schauen nach Einschaltquoten oder Followerzahlen?
Doch, natürlich bin auch ich eitel. Wenn sich nach einem Fernsehgottesdienst sehr viel mehr Feedback kommt, fühle ich mich gebauchpinselt. Aber ich kann hier auch klar und deutlich sagen: Ich brauche das nicht, um glücklich zu sein.
Sind Sie schon einmal über sich selbst erschrocken gewesen, was das Fehlen von Status und Bedeutung angeht?
Es ist schön, wenn man eingeladen wird. Wenn man um seine Einschätzung und Meinung gefragt wird. In der Corona-Zeit habe ich lernen müssen, dass fast alles ausgefallen ist. So richtig wichtig und systemrelevant, wie ich manchmal vielleicht glauben wollte, bin ich nicht. Aber solche Gedanken kann ich schnell mit einem Lächeln wegwischen, sie bedeuten mir nicht viel.
Sind Ihre Ordensbrüder bei den Kapuzinern eigentlich neidisch auf Ihre Medienmacht?
Die Kapuziner sind eine Truppe, in der sich auch Charakterköpfe wohl fühlen können. Ich wollte 1978 unbedingt Kapuziner werden – und nichts anderes. Hier konnte ich jemand sein, der auch mal heraussticht. Ich habe nie – und das kann sich wirklich aus vollem Herzen sagen – Neid erlebt. Die Brüder begegnen mir mit Wohlwollen. Dafür bin ich dankbar und schätze das sehr.
Irgendwann verliert man Macht wieder, ob freiwillig oder unfreiwillig.
Das ist in der Tat ein spannender Punkt, auch für mich. Ich habe entschieden, mit 60 in den Vorruhestand zu gehen und mich nach und nach von institutionellen Verantwortungen zurückzuziehen. Ich werde ja älter und verliere damit auch Macht über meinen Körper und die Gesundheit. Das möchte ich wahrnehmen und ernstnehmen.
Der Abschied von der Macht ist gar nicht so furchtbar. Jesus hat zu Petrus gesagt: Wenn Du alt bist, wird dich jemand führen. Darauf vertraue ich.
Wie lernt man, Macht abzugeben?
Mein Tipp wäre: Analysieren Sie die Situation, in der Sie schon einmal machtlos waren. Etwa als ich im Krankenhaus lag. Oder als das erste Kind kam und ich die Macht über die Zeit für mich verloren habe. Aus allem entsteht Neues und Gutes. Wenn man sich das klar macht, ist der Abschied von der Macht gar nicht so furchtbar. Jesus hat zu Petrus gesagt: Wenn Du alt bist, wird dich jemand führen. Darauf vertraue ich.
Bruder Paulus, beim Thema „Macht“ kommt man an der Kirche nicht vorbei. Viele Probleme haben mit Macht, Hierarchien und wenig transparenter Machtausübung in der Institution zu tun. Wäre das auch Ihre Analyse?
Nicht ganz. Ich denke, dass das Machtproblem der Kirche eher bei den Laien liegt. Schon als Priester habe ich mich gefragt, warum sich nicht jeder Christ als Kreativagentur des Heiligen Geistes sieht? Ein Christ muss nicht warten, bis ihm der Priester irgendetwas erlaubt. Er ist bevollmächtigt, ein liebender Mensch zu sein und angstfrei zu leben.
Dass sich viele Laien dazu nicht bevollmächtigt sehen, hat ja aber doch mit der Institution Kirche zu tun.
Das stimmt. Dennoch bleibe ich dabei: Die Freiheit eines Christenmenschen ist groß und unabhängig von der Institution. Das sollte jeder so leben. Natürlich weiß ich um die Institution Kirche und die Zwänge durch die Macht des Faktischen. Ich sage es auch klipp und klar: Wir müssen wegkommen von der Macht der Tradition. Wir müssen eine Ideenschmiede werden. Kreativ und angstfrei. Ich bin optimistisch, dass uns das gelingen wird. Das erlebe ich hier jeden Tag in Frankfurt am Main an der Liebfrauenkirche und bei uns im Kapuzinerkloster.
Viele Menschen stellen sich besonders in der Corona-Krise eine entscheidende Frage: Was ist mit der Allmacht Gottes? Stellen Sie sich diese Frage auch? Oder anders gefragt: Was hat diese Zeit der Machtlosigkeit mit Bruder Paulus gemacht?
Eine solche Krise haben viele noch nicht erlebt, auch ich nicht. Bis wir das verarbeitet haben, wird es noch dauern. Diese Krise befragt auch mich: Auf wen setze ich eigentlich meine Hoffnung? Mein Gebetsleben hat sich in den letzten Monaten verändert, es geht um die Frage: Kann ich mich Dir und Deiner fürsorgenden Macht wirklich anvertrauen, Gott? Wir sind alle betroffen, wir sind gefährdet. Das macht etwas mit mir. Ich bin zunehmend ohnmächtig und ratlos und frage mich, wie ich das alles noch lange durchalten soll. Natürlich stellen wir uns die Frage der Macht Gottes schon seit Jahrhunderten. Aber sie wurde selten so drängend und aktuell gestellt, auch von mir.
Bruder Paulus, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Tobias Rauser