FOTO: KAPUZINER/TOBIAS RAUSER
Br. Ed van den Berge
wurde 1927 geboren und wuchs in Amsterdam auf. 1949 trat er in den Kapuzinerorden ein, wo er nach seinem Theologiestudium unter anderem als Studentenpfarrer in Enschede arbeitete. 1963 zog Br. Ed nach Tilburg, weil ihm das Amt des Missionsprokurator anvertraut wurde. Bis 1974 wirkte der Kapuziner als Missionsprokurator, anschließend wieder als Pfarrer.
„Mission ist nicht, anderen Menschen Wahrheiten zuzurufen“
Br. Ed van den Berge lebt im Kloster Tilburg in den Niederlanden und war viele Jahre für die Missionsarbeit der niederländischen Kapuziner verantwortlich. Wie der 95-jährige auf die Missionsgeschichte und die Kirche von heute blickt, verrät er im Interview.
Br. Ed, Sie sind seit 73 Jahren Kapuziner. Warum sind Sie damals eingetreten?
Das war für mich damals eine Entscheidung, die mir nicht leichtgefallen ist. Die katholische Kirche zog mich an und ich kannte einen Kapuzinerpater aus Amsterdam, der mich auch 1944 getauft hatte. Meine Eltern waren über meinen Entschluss, ins Kloster zu gehen, nicht wirklich begeistert, aber sie hielten mich auch nicht davon ab. Der Grund für den Eintritt war vor allem, dass mich die Art, wie sich die Kapuziner für arme Menschen engagierten, beeindruckte. Das galt früher und gilt auch heute.
Wie kamen Sie mit der Mission in Kontakt?
Ich war sehr lange als Priester in einer Studentengemeinde in Enschede tätig und wurde erst 1963 zum Missionsprokurator ernannt, quasi ohne „missionarische Vorkenntnisse“. Das war eine sehr spannende Zeit, in der hier in den Niederlanden noch viel Arbeit anfiel. Wir mussten wirklich alles besorgen – sogar Baumaterial. Teilweise hatten wir in der Missionsprokur hier vor Ort über 1000 Kisten voll mit Material gelagert. In dieser Zeit gab es eine hohe Anerkennung für die Arbeit der Missionare.
Das ist ein krasser Wechsel: Vom Studentenpfarrer zum Missionsprokurator mit Managementaufgaben.
Ich hatte das große, große Glück, viele Länder bereisen zu dürfen. Das hat meinen Horizont geweitet und mein Leben bereichert. Für mein Leben war diese Zeit als Missionsprokurator sehr wichtig, und ich hoffe, dass das auch für die Menschen der Fall war, für die ich gearbeitet habe.
Wie kann man sich die Arbeit in den 60er-Jahren vorstellen, hatten Sie ein Team zur Unterstützung?
Nein, dieses Team musste ich erst aufbauen. Erst war ich allein, am Ende waren wir zu sechst: vier Leute im Büro, einer für die Kommunikation, einer für die Logistik. In den Jahren zuvor war die Arbeit nicht sonderlich schwierig, man hatte genug Geld und hat es dann in die Missionsgebiete geschickt. Wir waren in Tilburg quasi das Dienstleistungsbüro für die Missionare, haben Gelder eingesammelt und auch die jungen Kirchen in den Missionsgebieten beraten und unterstützt.
Ich glaube an das Evangelium. Und nicht an die Geschichte der Institution Kirche.
Was war Ihnen in der Arbeit wichtig?
Wir haben in meiner Amtszeit viel verändert. Ein wichtiger Punkt war, dass wir dafür gesorgt haben, dass die Ordensbrüder häufiger in die Heimat Niederlande reisen. Vor meiner Zeit kamen sie alle zehn Jahre heim, am Ende dann alle drei Jahre für drei Monate. Das führte dazu, dass die Missionare nicht ganz verloren waren in der alten neuen Heimat Niederlande, denn in zehn Jahren ändert sich die Welt, die Kirche, die Familie, der Orden.
Zumal die Niederlande in beeindruckendem Tempo immer säkularer wurden.
Ja, das war in der Tat ein schwieriger Punkt für viele Brüder, die aus der Mission heimkamen. Deswegen habe ich unter anderem in meiner Amtszeit eine Zeitschrift für die Missionare ins Leben gerufen, damit der Austausch zwischen Mission und Heimat gestärkt wird. Die Zeitschrift erschien bis 2014 und richtete sich an die holländischen Brüder in der Mission in Indonesien, Chile und Tansania und deren Familien. Es war über die Jahre ein hoch anerkanntes und vielgelesenes Magazin.
Wie viele Missionare gab es in dieser Zeit?
Es waren über 120 Missionare in Borneo, Sumatra, Chile und Tansania, die meisten in Borneo und Sumatra. Heute gibt es keinen aktiven niederländischen Bruder mehr in der Mission, zwei leben allerdings noch in Chile.
Wie beginnt die Geschichte der niederländischen Kapuziner?
Die niederländischen Kapuziner waren lange mit den Belgiern in einer Provinz vereint, die Belgier wurden dann 1882 selbstständig. 1905 hat niederländische Provinz von Rom Borneo als Missionsgebiet zugeteilt bekommen. Sechs Kapuziner verließen Tilburg im Jahr 1905 in Richtung Borneo. 1911 gingen acht Brüder nach Sumatra. Nach Chile brachen die ersten beiden niederländischen Kapuziner 1958 auf, 1959 ging es für drei Ordensbrüder nach Tansania.
Wie entwickelte sich die Mission in Borneo und Sumatra?
Nach dem Krieg, in dem auch unsere Brüder in Gefangenschaft gerieten, entwickelte sich die Mission rasch und sehr positiv. Und es änderte sich auch unser Missionsverständnis. Hieß es am Anfang schlicht „Wir müssen die Heidenkinder taufen, damit sie nicht in die Hölle kommen, ob sie nun wollen oder nicht“, wuchs Gott sei Dank das Verständnis für die Kultur vor Ort und die politische Dimension der Arbeit. Papst Franziskus hat es so formuliert: Mission ist nicht, anderen Menschen Wahrheiten zuzurufen. Sondern man muss dem heiligen Geist alle Möglichkeiten geben, so dass der andere am Ende freiwillig dabei sein will. Alles in allem war die Mission ein Erfolg: im Jahr 1976 wurde Sumatra eine eigenständige Provinz.
Bleibt interessiert und offen. Das bringt innere Weite.
Wie denken Sie über das Fortschreiten der Säkularisierung, die in den Niederlanden im Vergleich zu Deutschland weit fortgeschritten ist?
Ich begrüße die synodale Entwicklung in der Kirche sehr. Das ist ein guter Weg. Und grundsätzlich muss ich sagen: Ich glaube an das Evangelium. Und nicht an die Geschichte der Institution Kirche. Diese ist manchmal schrecklich und es ist gut, wenn die Macht zerbricht. Ich habe mich da verändert im Laufe des Lebens, ich bin nicht mehr so „römisch“ wie vor siebzig Jahren. Und doch ist die Kirche eine Hilfe für die Armen. Sie muss vor allem jungen Menschen Antwort geben auf die wichtigen Fragen des Lebens. Ich hoffe sehr, dass sie das auch in Zukunft schafft.
Die deutschen Kapuziner haben noch junge Brüder in der Mission, etwa in Albanien. Was wäre Ihr Rat an Sie?
Wichtig ist, nicht einfach hinzugehen und zu sagen: Hier komme ich und bringe Dir etwas. Wir sollten so leben, wie Franziskus es vorgibt: So leben, dass die Kirche anziehend ist, auch für Leute, die uns nicht kennen. Alles andere übernimmt der heilige Geist. Mein Rat an alle, nicht nur die Missionare: Bleibt interessiert und offen. Für neue Menschen, für andere Kulturen. Das bringt innere Weite.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Tobias Rauser