Interview

FOTO: KAPUZINER/TOBIAS RAUSER

Br. Ed van den Berge

wur­de 1927 gebo­ren und wuchs in Ams­ter­dam auf. 1949 trat er in den Kapu­zi­ner­or­den ein, wo er nach sei­nem Theo­lo­gie­stu­di­um unter ande­rem als Stu­den­ten­pfar­rer in Ensche­de arbei­te­te. 1963 zog Br. Ed nach Til­burg, weil ihm das Amt des Mis­si­ons­pro­ku­ra­tor anver­traut wur­de. Bis 1974 wirk­te der Kapu­zi­ner als Mis­si­ons­pro­ku­ra­tor, anschlie­ßend wie­der als Pfarrer. 

17. August 2022

„Mission ist nicht, anderen Menschen Wahrheiten zuzurufen“

Br. Ed van den Ber­ge lebt im Klos­ter Til­burg in den Nie­der­lan­den und war vie­le Jah­re für die Mis­si­ons­ar­beit der nie­der­län­di­schen Kapu­zi­ner ver­ant­wort­lich. Wie der 95-jäh­ri­ge auf die Mis­si­ons­ge­schich­te und die Kir­che von heu­te blickt, ver­rät er im Interview.

Br. Ed, Sie sind seit 73 Jah­ren Kapu­zi­ner. War­um sind Sie damals eingetreten?
Das war für mich damals eine Ent­schei­dung, die mir nicht leicht­ge­fal­len ist. Die katho­li­sche Kir­che zog mich an und ich kann­te einen Kapu­zi­ner­pa­ter aus Ams­ter­dam, der mich auch 1944 getauft hat­te. Mei­ne Eltern waren über mei­nen Ent­schluss, ins Klos­ter zu gehen, nicht wirk­lich begeis­tert, aber sie hiel­ten mich auch nicht davon ab. Der Grund für den Ein­tritt war vor allem, dass mich die Art, wie sich die Kapu­zi­ner für arme Men­schen enga­gier­ten, beein­druck­te. Das galt frü­her und gilt auch heute.

Wie kamen Sie mit der Mis­si­on in Kontakt?
Ich war sehr lan­ge als Pries­ter in einer Stu­den­ten­ge­mein­de in Ensche­de tätig und wur­de erst 1963 zum Mis­si­ons­pro­ku­ra­tor ernannt, qua­si ohne „mis­sio­na­ri­sche Vor­kennt­nis­se“. Das war eine sehr span­nen­de Zeit, in der hier in den Nie­der­lan­den noch viel Arbeit anfiel. Wir muss­ten wirk­lich alles besor­gen – sogar Bau­ma­te­ri­al. Teil­wei­se hat­ten wir in der Mis­si­ons­pro­kur hier vor Ort über 1000 Kis­ten voll mit Mate­ri­al gela­gert. In die­ser Zeit gab es eine hohe Aner­ken­nung für die Arbeit der Missionare.

Das ist ein kras­ser Wech­sel: Vom Stu­den­ten­pfar­rer zum Mis­si­ons­pro­ku­ra­tor mit Managementaufgaben.
Ich hat­te das gro­ße, gro­ße Glück, vie­le Län­der berei­sen zu dür­fen. Das hat mei­nen Hori­zont gewei­tet und mein Leben berei­chert. Für mein Leben war die­se Zeit als Mis­si­ons­pro­ku­ra­tor sehr wich­tig, und ich hof­fe, dass das auch für die Men­schen der Fall war, für die ich gear­bei­tet habe.

Wie kann man sich die Arbeit in den 60er-Jah­ren vor­stel­len, hat­ten Sie ein Team zur Unterstützung?
Nein, die­ses Team muss­te ich erst auf­bau­en. Erst war ich allein, am Ende waren wir zu sechst: vier Leu­te im Büro, einer für die Kom­mu­ni­ka­ti­on, einer für die Logis­tik. In den Jah­ren zuvor war die Arbeit nicht son­der­lich schwie­rig, man hat­te genug Geld und hat es dann in die Mis­si­ons­ge­bie­te geschickt. Wir waren in Til­burg qua­si das Dienst­leis­tungs­bü­ro für die Mis­sio­na­re, haben Gel­der ein­ge­sam­melt und auch die jun­gen Kir­chen in den Mis­si­ons­ge­bie­ten bera­ten und unterstützt.

Ich glau­be an das Evan­ge­li­um. Und nicht an die Geschich­te der Insti­tu­ti­on Kirche.

Was war Ihnen in der Arbeit wichtig?
Wir haben in mei­ner Amts­zeit viel ver­än­dert. Ein wich­ti­ger Punkt war, dass wir dafür gesorgt haben, dass die Ordens­brü­der häu­fi­ger in die Hei­mat Nie­der­lan­de rei­sen. Vor mei­ner Zeit kamen sie alle zehn Jah­re heim, am Ende dann alle drei Jah­re für drei Mona­te. Das führ­te dazu, dass die Mis­sio­na­re nicht ganz ver­lo­ren waren in der alten neu­en Hei­mat Nie­der­lan­de, denn in zehn Jah­ren ändert sich die Welt, die Kir­che, die Fami­lie, der Orden.

Zumal die Nie­der­lan­de in beein­dru­cken­dem Tem­po immer säku­la­rer wurden.
Ja, das war in der Tat ein schwie­ri­ger Punkt für vie­le Brü­der, die aus der Mis­si­on heim­ka­men. Des­we­gen habe ich unter ande­rem in mei­ner Amts­zeit eine Zeit­schrift für die Mis­sio­na­re ins Leben geru­fen, damit der Aus­tausch zwi­schen Mis­si­on und Hei­mat gestärkt wird. Die Zeit­schrift erschien bis 2014 und rich­te­te sich an die hol­län­di­schen Brü­der in der Mis­si­on in Indo­ne­si­en, Chi­le und Tan­sa­nia und deren Fami­li­en. Es war über die Jah­re ein hoch aner­kann­tes und viel­ge­le­se­nes Magazin.

Wie vie­le Mis­sio­na­re gab es in die­ser Zeit?
Es waren über 120 Mis­sio­na­re in Bor­neo, Suma­tra, Chi­le und Tan­sa­nia, die meis­ten in Bor­neo und Suma­tra. Heu­te gibt es kei­nen akti­ven nie­der­län­di­schen Bru­der mehr in der Mis­si­on, zwei leben aller­dings noch in Chile.

Wie beginnt die Geschich­te der nie­der­län­di­schen Kapuziner?
Die nie­der­län­di­schen Kapu­zi­ner waren lan­ge mit den Bel­gi­ern in einer Pro­vinz ver­eint, die Bel­gi­er wur­den dann 1882 selbst­stän­dig. 1905 hat nie­der­län­di­sche Pro­vinz von Rom Bor­neo als Mis­si­ons­ge­biet zuge­teilt bekom­men. Sechs Kapu­zi­ner ver­lie­ßen Til­burg im Jahr 1905 in Rich­tung Bor­neo. 1911 gin­gen acht Brü­der nach Suma­tra. Nach Chi­le bra­chen die ers­ten bei­den nie­der­län­di­schen Kapu­zi­ner 1958 auf, 1959 ging es für drei Ordens­brü­der nach Tansania.

Wie ent­wi­ckel­te sich die Mis­si­on in Bor­neo und Sumatra?
Nach dem Krieg, in dem auch unse­re Brü­der in Gefan­gen­schaft gerie­ten, ent­wi­ckel­te sich die Mis­si­on rasch und sehr posi­tiv. Und es änder­te sich auch unser Mis­si­ons­ver­ständ­nis. Hieß es am Anfang schlicht „Wir müs­sen die Hei­den­kin­der tau­fen, damit sie nicht in die Höl­le kom­men, ob sie nun wol­len oder nicht“, wuchs Gott sei Dank das Ver­ständ­nis für die Kul­tur vor Ort und die poli­ti­sche Dimen­si­on der Arbeit. Papst Fran­zis­kus hat es so for­mu­liert: Mis­si­on ist nicht, ande­ren Men­schen Wahr­hei­ten zuzu­ru­fen. Son­dern man muss dem hei­li­gen Geist alle Mög­lich­kei­ten geben, so dass der ande­re am Ende frei­wil­lig dabei sein will. Alles in allem war die Mis­si­on ein Erfolg: im Jahr 1976 wur­de Suma­tra eine eigen­stän­di­ge Provinz.

Bleibt inter­es­siert und offen. Das bringt inne­re Weite.

Wie den­ken Sie über das Fort­schrei­ten der Säku­la­ri­sie­rung, die in den Nie­der­lan­den im Ver­gleich zu Deutsch­land weit fort­ge­schrit­ten ist?
Ich begrü­ße die syn­oda­le Ent­wick­lung in der Kir­che sehr. Das ist ein guter Weg. Und grund­sätz­lich muss ich sagen: Ich glau­be an das Evan­ge­li­um. Und nicht an die Geschich­te der Insti­tu­ti­on Kir­che. Die­se ist manch­mal schreck­lich und es ist gut, wenn die Macht zer­bricht. Ich habe mich da ver­än­dert im Lau­fe des Lebens, ich bin nicht mehr so „römisch“ wie vor sieb­zig Jah­ren. Und doch ist die Kir­che eine Hil­fe für die Armen. Sie muss vor allem jun­gen Men­schen Ant­wort geben auf die wich­ti­gen Fra­gen des Lebens. Ich hof­fe sehr, dass sie das auch in Zukunft schafft.

Die deut­schen Kapu­zi­ner haben noch jun­ge Brü­der in der Mis­si­on, etwa in Alba­ni­en. Was wäre Ihr Rat an Sie?
Wich­tig ist, nicht ein­fach hin­zu­ge­hen und zu sagen: Hier kom­me ich und brin­ge Dir etwas. Wir soll­ten so leben, wie Fran­zis­kus es vor­gibt: So leben, dass die Kir­che anzie­hend ist, auch für Leu­te, die uns nicht ken­nen. Alles ande­re über­nimmt der hei­li­ge Geist. Mein Rat an alle, nicht nur die Mis­sio­na­re: Bleibt inter­es­siert und offen. Für neue Men­schen, für ande­re Kul­tu­ren. Das bringt inne­re Weite.

Vie­len Dank für das Gespräch!

Das Inter­view führ­te Tobi­as Rauser

 

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