FOTO: Tobias Rauser
Br. Thomas Dienberg und Sr. Maria Hanna Löhlein
Br. Thomas wurde 1964 in Rhede geboren und trat 1983 in den Kapuzinerorden ein. Seine Ewige Profess legte er im Jahr 1988 ab, 1991 wurde er zum Priester geweiht. Br. Thomas ist Professor für Theologie der Spiritualität und lebt und arbeitet im Kapuzinerkloster in Münster.
Sr. Maria Hanna wurde 1966 in Werneck geboren. Die gelernte Bankkauffrau trat 1989 in den Orden der Franziskanerinnen von Reute ein. Sie studierte Soziale Arbeit und legte ihre Ewige Profess 1998 ab. Seit dem 21. November 2016 ist Sr. Maria-Hanna die gewählte Generaloberin der Franziskanerinnen von Reute.
Vision, Verantwortung und Verzicht
Ist Macht gut oder schlecht? Ein Gespräch über die Last der Verantwortung, Visionen und Konfliktfähigkeit sowie das Machtproblem in der Kirche. Mit der Franziskanerin Sr. Maria Hanna Löhlein und dem Kapuziner Br. Thomas Dienberg.
Sr. Maria-Hanna, Br. Thomas, wie ist Ihr Verhältnis zur Macht?
Sr. Maria-Hanna Löhlein: Wenn ich den Begriff definiere, dann ist Macht vor allem die Möglichkeit, etwas zu gestalten. Das ist eine sehr gute Sache. Natürlich hat Macht auch andere Seiten. Man kann sich gut einrichten, will an ihr festhalten. Macht ist etwas Anspruchsvolles, so würde ich diese Ambivalenz zusammenfassen.
Br. Thomas Dienberg: Macht macht Spaß, das muss man sagen. Und das sollte es auch. Macht ermöglicht Gestaltung, es ehrt einen als Person und man kann Dinge voranbringen, von denen man überzeugt ist. Auf der anderen Seite ist sie auch eine Belastung, wenn es zum Beispiel um Personal und Konflikte geht.
Sr. Maria-Hanna: Ja, in der Tat. Die Verantwortung für die Gemeinschaft auf der einen und den Einzelnen auf der anderen Seite wiegt manchmal schwer. Ich trage die Verantwortung.
Wie lösen Sie das auf: die Verantwortung für den Gesamtorden und das Schicksal von einzelnen Schwestern?
Sr. Maria-Hanna: Das ist ein Dilemma, zumindest in manchen Fällen. Eigentlich hilft nur das Gespräch und Zuhören. Aber letztlich muss man auch Zumuten. Man ist nicht nur eine Freundin aller, sondern jemand, der auch Ärger auslöst. Das muss ich aushalten.
Br. Thomas: Manchmal bleibt jemand auf der Strecke, oder?
Sr. Maria-Hanna: Ja. Das kann ich nicht immer auffangen, und ich kann es auch nicht allen rechtmachen. Das muss ich mir immer klar machen. Ich trage die Verantwortung.
Autorität greift nur dann, wenn sie authentisch gelebt wird. Der Mensch heute will sich nicht zwingen lassen.
Starkes Harmoniebedürfnis ist keine gute Führungseigenschaft?
Sr. Maria-Hanna: Nein, ist es nicht.
Br. Thomas: Wer um der Harmonie willen führen will, der ist an der falschen Stelle. Viel zu oft werden auch bei uns im Orden und in der Kirche Konflikte hintenherum ausgetragen. Diese Konflikte zu benennen und in den Konflikt zu gehen ist aber enorm wichtig.
Welche Eigenschaften braucht ein guter Anführer?
Sr. Maria-Hanna: Zuhören ist wichtig. Und Sachrealitäten sehen und auf den Tisch legen. Die Dinge benennen und andere Positionen zulassen. Und am Ende muss entschieden werden. Nichts ist schlimmer, als nicht zu entscheiden. Lieber mal daneben liegen, als gar nichts angehen.
Br. Thomas: Das sehe ich ähnlich. Wie schon gesagt: Konfliktfähigkeit. Dazu sollten Kommunikationsstärke und Transparenz kommen. Wie oft werden Leute nicht mitgenommen, weil die Führung nicht ausreichend informiert und die Dinge nicht offen anspricht? Das „Mitnehmen“ ist wichtig. Natürlich geht das nicht bei allen Dingen, aber der klare Wunsch nach Transparenz und das Klarmachen der eigenen Position ist entscheidend.
Muss eine Führungskraft vorangehen, mit Strategien und Konzepten?
Br. Thomas: Visionen und Strategien sind wichtig. Eine Leitung, die sich hinstellt und sagt: „Wir warten mal, was kommt“, ist fehl am Platz. Die Führungskraft muss vorangehen, mit Kraft, Schwung und eigenen Ideen.
Sr. Maria-Hanna: Für mich ist das einer der wichtigsten Punkte. Wir befinden uns in einem absoluten Umbruch und müssen Klosterleben und Kirche vollkommen neu erfinden. Da braucht es visionäre Kraft.
Diese notwendige Neuorientierung der Orden ist anspruchsvoll, denn es gibt immer weniger Ordensleute auf der einen und komplexer werdende Aufgaben auf der anderen Seite.
Sr. Maria-Hanna: Das ist fast noch untertrieben. Was bei mir alles auf dem Tisch landet, das ist absoluter Wahnsinn. Strukturen brechen ein, Schwestern fallen aus und wir versuchen, unseren Aufgaben mit schwindender Kraft gerecht zu werden. Vor diesem Hintergrund den Kopf frei zu bekommen für neue Visionen, ist eine sehr große Herausforderung.
Hier in Reute sind Sie genau in diesem Prozess.
Sr. Maria-Hanna: Wir haben mithilfe einer Beratungsfirma mit allen Schwestern qualifizierte Interviews geführt, um der gemeinsamen Berufung und unserer Vision wieder etwas näher zu kommen. Was verbindet uns als Ordensschwestern? Daraus haben wir eine neue Vision für den Orden entwickelt, die nun in einer kompletten Umgestaltung des Klosterbergs einen Ausdruck findet. Wir werden Altes lassen und Neues beginnen. Das Leben auf dem auch architektonisch umgestalteten Klosterberg wird in Zukunft offen für alle – nicht nur für Schwestern. Wir laden ein, mit und bei uns zu leben. Diese anderen Lebensformen muss man zulassen. Und auch, dass nun andere mitreden und nicht nur wir Schwestern das Sagen haben.
Macht ausüben und Macht erfahren sind zwei unterschiedliche Dinge. Haben Sie schon negative Erfahrungen gemacht, ganz persönlich?
Br. Thomas: Ja, das ist ein Thema, das mich sehr beschäftig. Macht kann sich in der Art und Weise zeigen, dass der Mensch nicht mehr wahrgenommen wird. Das habe ich in der Vergangenheit auch ganz konkret erfahren, wo ich erlebt habe, dass sich niemand für das, was ich mache, interessiert. Das hat mich schwer enttäuscht. Mangelndes Interesse bedeutet mangelnde Wertschätzung. Macht gut auszuüben bedeutet auch, nachzufragen.
Es heißt ja: „Man verlässt kein Unternehmen, sondern seinen Chef“.
Sr. Maria-Hanna: Das ist wohl so, und das beschäftigt mich sehr. Wenn ich das von Dir, Br. Thomas, höre, dann ist es bestimmt so, dass es auch Schwestern gibt, die ich schwer enttäuscht habe. Angesichts von hunderten Schwestern habe ich eine hohe Verantwortung und jede erwartet von mir, dass ich sie sehe. Dem werde ich sicher nicht immer gerecht.
In Orden ist die Machtausübung eine recht demokratische Angelegenheit. Die Leitung wird von allen Ordensschwestern und ‑brüdern gewählt – auf Zeit. Ist das ein Vorteil oder Nachteil?
Sr. Maria-Hanna: Es ist ein großer Vorteil, weil den Schwestern so nicht die Verantwortung für die Gestaltung der Zukunft genommen wird. Der Nachteil ist, dass Veränderungsprozesse länger dauern als es manchmal sinnvoll wäre.
Br. Thomas: Ich habe die gemeinsamen Entscheidungen und das Verteilen der Macht oft als Nachteil empfunden. Wir sind als Gemeinschaft so vielfältig, sodass es manchmal schwierig wird, die Komplexität der Prozesse adäquat abzubilden. Manche strategisch wichtigen Entscheidungen sind nicht konsensfähig, wären aber dennoch wichtig für die Gemeinschaft. Führungskräfte müssen auch unpopuläre Entscheidungen treffen.
Ich glaube, dass hinter dem Widerstand gegen eine stärkere Rolle von Frauen schlicht die Angst vor dem Verlust von Privilegien steckt.
Ist die Wahl und die zeitliche Limitierung für die Kirche ein Vorbild, etwa bei Bischofsämtern?
Sr. Maria-Hanna: Das wäre ein guter Weg. Ich bin sicher, dass vor allem junge Bischöfe darüber sogar froh wären.
Br. Thomas: Ich halte das Zeitprinzip grundsätzlich für gut. Drei Jahre wie bei uns im Orden sind allerdings deutlich zu kurz, in dieser Zeit kann man strategische Dinge kaum umsetzen. Wichtig ist: Niemand darf sich in einer Position festsetzen. Einige Bischöfe bekommen das gut hin, einige nicht.
Was kann die Kirche tun, um das Machtgefälle und die Hierarchie aufzulösen?
Sr. Maria-Hanna: Es geht darum, auf Privilegien zu verzichten. Die Kirche muss die Tatsache anerkennen, dass sie die Menschen anhand des eigenen Handelns überzeugen muss. Sonst hört ihr niemand zu. Theorie und Praxis müssen übereinander kommen, Autorität greift nur dann, wenn sie authentisch gelebt wird. Der Mensch heute will sich nicht zwingen lassen.
Ist dieser Prozess des Machtverfalls noch zu stoppen?
Sr. Maria-Hanna: Nein, das glaube ich nicht. Die Macht der Kirche wird zerbröseln, denn die Menschen stimmen mit den Füßen ab und gehen.
Br. Thomas: Es geht für mich nicht darum, Macht abzugeben. Viele aus der Hierarchie der Kirche müssen entdecken, dass es darum geht, Glauben gemeinsam mit anderen zu leben. Viele Männer in Machtpositionen haben die Nähe zu den Menschen verloren. Wer näher an den Menschen ist, immer ansprechbar, der gibt automatisch Macht ab.
Ist das Thema Macht in der Kirche ein Männerproblem, Br. Thomas?
Br. Thomas: Ja, die Kirche ist eine Männerkirche. Veränderungen werden von Männern beschlossen. Ich glaube, dass hinter dem Widerstand gegen eine stärkere Rolle von Frauen schlicht die Angst vor dem Verlust von Privilegien steckt. Es gibt aus meiner Sicht keine theologisch begründeten Argumente gegen die Weihe von Diakoninnen oder Priesterinnen
Zum Schluss: Was hätte Franziskus von dem Begriff Macht gehalten?
Sr. Maria-Hanna: Er wäre dem Begriff sehr kritisch gegenübergestanden, da bin ich mir sicher. Für Franziskus ist der Begriff Macht auf jeden Fall konsequent mit dem Wort „Dienen“ verbunden gewesen. Er war ein charismatischer Mensch und hat sich mit dem Thema beschäftigt, da der Orden ja in der Anfangszeit stark gewachsen ist. Für ihn war dabei der Bezug auf das Evangelium und das Beispiel Jesu immer entscheidend.
Br. Thomas: Man hat eine Position inne in einer Gemeinschaft, aber es geht immer um den Dienst an dieser Gemeinschaft. Macht war für Franziskus ein Mittel zum besseren Leben miteinander und zu einer konsequenteren Nachfolge Jesu.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Tobias Rauser