Interview

FOTO: KAPUZINER/LEMRICH

BR. Christophorus Goedereis

lei­tet als Pro­vin­zi­al seit 2019 die Deut­sche Kapu­zi­ner­pro­vinz. Er wur­de 1965 in Nord­horn gebo­ren und ist seit 1984 Kapu­zi­ner. Zum Pro­vinz­ka­pi­tel im Juni 2022 tritt Br. Chris­to­pho­rus nicht wie­der als Pro­vin­zi­al an. 

24. Mai 2022

„Wir müssen uns neu aufstellen und neu einbringen“

Br. Chris­to­pho­rus Goe­de­r­eis wird im Juni nicht mehr als Pro­vin­zi­al der Deut­schen Kapu­zi­ner­pro­vinz zur Wahl ste­hen. Ein Inter­view über den Abschied, berüh­ren­de Momen­te und Her­aus­for­de­run­gen für den Orden. 

Br. Chris­to­pho­rus, Sie ste­hen nicht mehr für eine wei­te­re Amts­zeit als Pro­vin­zi­al der Deut­schen Kapu­zi­ner­pro­vinz zur Wahl. Warum?
Br. Chris­to­pho­rus Goe­de­r­eis: Das hat schlicht und ergrei­fend gesund­heit­li­che Grün­de. Die Rege­lung bei uns im Orden ist nor­ma­ler­wei­se so: Ein Pro­vin­zi­al wird auf drei Jah­re gewählt und kann ein­mal wie­der­ge­wählt wer­den. Somit ist ein Kapu­zi­ner höchs­tens sechs Jah­re Ordens­obe­rer. Mit Aus­nah­me­re­ge­lung kön­nen es auch mal neun Jah­re wer­den, aber spä­tes­tens dann ist Schluss. Ich habe nun nach drei Jah­ren gesagt, dass ich für eine wei­te­re Amts­zeit nicht mehr zur Ver­fü­gung ste­he. Ich bin zwar nicht tod­krank, aber mei­ne Ärz­te haben mich gewarnt, dass ich in die­sem Tem­po kei­ne drei Jah­re mehr durch­hal­ten wür­de. Die Ärz­te und mein Kör­per sagen mir deut­lich: Ich muss einen Gang runterschalten.

Wie schwer ist die­se Ent­schei­dung gefallen?
Ich habe lan­ge mit ihr gerun­gen. Doch nun, da sie getrof­fen und schon etwas Zeit ver­gan­gen ist, kann ich sagen, dass sich eine gewis­se inne­re Ruhe ein­ge­stellt hat.

Haben Ihnen Ver­ant­wor­tung und Gestal­tungs­macht Spaß gemacht?
Ja, auf jeden Fall. Ich bin zum jet­zi­gen Zeit­punkt zwar erst seit drei Jah­ren Pro­vin­zi­al, sit­ze aber seit 1995 in der Pro­vinz­lei­tung, war schon ein­mal neun Jah­re im Amt des Pro­vin­zi­als, sechs Jah­re Pro­vinz­vi­kar und sechs wei­te­re Jah­re Pro­vinz­rat. All die­se Auf­ga­ben habe ich mit hoher Lei­den­schaft und Freu­de erfüllt. Eben­so mei­ne frü­he­ren Auf­ga­ben als Pfar­rer in Offen­burg und als Kir­chen­rek­tor in Frankfurt.

Für mich ist die fran­zis­ka­ni­sche Idee kei­ne Idee nur für die Kir­che, son­dern eine Bot­schaft für die Welt.

Nach einem ruhi­gen und stil­len Ordens­le­ben hört sich das im Rück­blick nicht an.
Nein, das war es in der Tat nicht. Aber die Fra­ge war ja: Hat es Spaß gemacht? Und ja, das hat es. Ich bin ein Typ, der ger­ne gestal­tet und der ger­ne in grö­ße­ren Zusam­men­hän­gen denkt. Auch die inter­na­tio­na­le Ebe­ne, die mei­ne Auf­ga­ben mit sich gebracht haben, haben zu mir gepasst. Und ich hät­te sogar immer noch Lust, wei­ter­zu­ma­chen. Aber es geht in die­sem Tem­po und Rhyth­mus nicht mehr. Und das muss ich respektieren.

Haben Sie Sor­ge, dass Sie in den kom­men­den Mona­ten in ein Loch fallen?
Nein, davor habe ich kei­ne Sor­ge. Ich habe die­ses Amt ja schon ein­mal nach neun Jah­ren Dienst­zeit abge­ge­ben und weiß, wie sich das anfühlt. Zu Beginn ist es viel­leicht ein wenig unge­wohnt, aber ich freue mich nun auf eine etwas ruhi­ge­re Peri­ode in mei­nem Leben.

Was waren die schöns­ten Momen­te der Auf­ga­be als Provinzial?
Das ist eher ein Mosa­ik, als dass es ganz her­aus­ra­gen­de Din­ge waren. Ein beson­de­rer Moment war sicher­lich die Grün­dung der Deut­schen Kapu­zi­ner­pro­vinz im Jah­re 2010 und die Fei­er­lich­kei­ten dazu. Und dann erin­ne­re ich mich an vie­le schö­ne Ereig­nis­se: etwa die Auf­nah­me von neu­en Brü­dern ins Pos­tu­lat und ins Novi­zi­at, die Fei­er von Ein­fa­chen und Ewi­gen Gelüb­den oder die Pries­ter­wei­hen. Die beein­dru­cken­den Begeg­nun­gen auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne und die Besu­che in den Mis­si­ons­ge­bie­ten gehö­ren natür­lich auch dazu. Und nicht zuletzt vie­le, vie­le bewe­gen­de Begeg­nun­gen mit ein­zel­nen Brü­dern, sowohl in guten Zei­ten als auch in Kri­sen­si­tua­tio­nen. Vie­les hat mich sehr berührt. Es ist ein Geschenk, dass man als Pro­vin­zi­al vie­le Brü­der auch von Sei­ten ken­nen­lernt, die nicht jeder sieht.

Was war das für ein jun­ger Mann, der vor 38 Jah­ren in den Orden ein­ge­tre­ten ist? Was hat die­ser jun­ge Mann sich damals so vor­ge­stellt, was aus ihm wer­den soll?
Der jun­ge Chris­to­pho­rus, der in den Orden ein­ge­tre­ten ist, war vol­ler Begeis­te­rung für den hei­li­ge Fran­zis­kus und für die fran­zis­ka­ni­sche Idee. Das gilt auch nach wie vor. Der Chris­to­pho­rus, der in den Orden ein­ge­tre­ten ist, woll­te Min­der­bru­der und Kapu­zi­ner wer­den. Ob er Pries­ter wird oder nicht, war für ihn zunächst ein­mal zweit­ran­gig. Mei­ne Beru­fung war und ist die zum fran­zis­ka­ni­schen Ordens­le­ben. Der Chris­to­pho­rus von damals begeis­ter­te sich für die Ver­kün­di­gung, und damit mei­ne ich nicht in ers­ter Linie die Ver­kün­di­gung im sakra­men­ta­len Rah­men, son­dern die Ver­kün­di­gung und die Wei­ter­ga­be des Glau­bens im Gespräch mit den Men­schen. Der Br. Chris­to­pho­rus von damals hat­te auch sei­ner­zeit schon Freu­de dar­an, mit denen zu reden, die eher am Ran­de des Glau­bens und der Kir­che ste­hen. Für mich ist die fran­zis­ka­ni­sche Idee kei­ne Idee nur für die Kir­che, son­dern eine Bot­schaft für die Welt. Auf jeden Fall hat der Br. Chris­to­pho­rus von damals nicht an anste­hen­de Lei­tungs­äm­ter und Manage­ment­auf­ga­ben gedacht (lacht).

Wir müs­sen auch auf unse­re jun­gen Brü­der hören und den Mut haben, deren Ideen umzusetzen.

Was unter­schei­det den Br. Chris­to­pho­rus von damals und heute?
Die Begeis­te­rung für die fran­zis­ka­ni­schen Wer­te und die Ver­kün­di­gung an den Rän­dern hat sich nicht ver­än­dert. Ver­än­dert haben mich auf jeden Fall die vie­len Rol­len und Ver­ant­wor­tungs­pos­ten, die auf mich zuge­kom­men sind. Rich­tig naiv war ich zwar nie, aber heu­te bin ich schon ernüch­tert, wenn ich all die Rea­li­tä­ten in Kir­che und Orden so vor mir sehe. Mein Glau­be ist tie­fer und wei­ter geworden.

Haben Sie mal an einen Aus­tritt aus dem Orden oder aus der Kir­che gedacht?
Nein. Wie jeder Ordens­mann und jede Ordens­frau hat­te auch ich mei­ne Kri­sen. Aber ich war zumin­dest nie unmit­tel­bar vor einem Punkt, um zu sagen: Ich schmei­ße alles hin. Jeder stellt sich irgend­wann und viel­leicht auch öfter als nur ein­mal im Leben die Fra­ge: Ist das hier wirk­lich mein Weg, oder möch­te ich anders, etwa in einer Part­ner­schaft, leben? Aber an mei­ner Beru­fung hat­te ich eigent­lich nie grund­le­gen­de Zwei­fel. Und an einen Aus­tritt aus der Kir­che habe ich auch nie gedacht. Emo­tio­nal kann ich Men­schen ver­ste­hen, die die Kir­che ver­las­sen. Aber für mich ist die Kir­che grö­ßer als die römisch-katho­li­sche Orga­ni­sa­ti­on, die gera­de wie­der ein­mal ein paar grö­ße­re Pro­ble­me hat.

Vor wel­chen Her­aus­for­de­run­gen ste­hen die Kapu­zi­ner in den nächs­ten Jahren?
Zur­zeit erle­ben wir als Orden ganz kon­kret, dass uns die gro­ßen tra­di­tio­nel­len und klös­ter­li­chen Struk­tu­ren über den Kopf wach­sen. Wir kön­nen die­se in der bis­he­ri­gen Anzahl nicht wei­ter­füh­ren. Des­we­gen ste­hen die Kapu­zi­ner vor der gro­ßen Her­aus­for­de­rung, uns neu zu fra­gen: Wo ist unser Platz in Kir­che und Gesell­schaft und wie wol­len wir leben?

Und, wo ist die­ser Platz?
Seit der Zeit nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil waren wir in guter Wei­se eng mit den diö­ze­san­kirch­li­chen Struk­tu­ren ver­knüpft und haben in vie­len pas­to­ra­len Fel­dern gewirkt. Wir haben davon gelebt, dass Bischö­fe dem Orden Gestel­lungs­gel­der gezahlt haben für die Diens­te der Mit­brü­der in der Pfar­rei, im Kran­ken­haus oder in ande­ren seel­sor­ger­li­chen Diens­ten. Damit haben wir unser Leben finan­ziert und Klös­ter unter­hal­ten, die in vie­len Fäl­len gar nicht uns selbst gehö­ren. Die­se Rech­nung geht so nicht mehr auf. Ich will jetzt nicht sagen, dass wir alle in eine Miet­woh­nung zie­hen müs­sen, aber klar ist, dass wir nicht mehr alle in gro­ßen Klös­tern mit Klos­ter­gar­ten und Kir­che neben­dran leben kön­nen. Viel­leicht ist der neue Platz für die Kapu­zi­ner an weni­ger kirch­li­chen Orten, mehr am Ran­de der Gesell­schaft. Um als Min­der­brü­der das Evan­ge­li­um zu leben und zu ver­kün­den, brau­chen wir nicht zwin­gend über­all ein Klos­ter, einen Klos­ter­gar­ten und eine Kirche. 

Haben die Kapu­zi­ner genü­gend Nachwuchs?
Nun ja, wir sind in der glück­li­chen Situa­ti­on, dass wir noch eine gute Zahl jun­ger Brü­der haben. Ich habe in den Nie­der­lan­den erlebt, wie es ist, wenn der Jüngs­te 65 Jah­re ist, das ist eine ganz ande­re Dyna­mik. Aber natür­lich: Wir wer­den weni­ger, allei­ne des­halb kön­nen wir nicht alles so fort­füh­ren wie bis­her. Wir müs­sen auch auf unse­re jun­gen Brü­der hören und den Mut haben, deren Ideen umzusetzen.

Endet die Zeit der Orden in Deutschland?
Nein, die Zeit der Orden endet nicht. Immer, wenn Kir­che und Gesell­schaft sich in grö­ße­ren Umbrü­chen befin­den, genau dann ist eigent­lich die Zeit der Orden. Das soll­te vor allem für unse­re fran­zis­ka­ni­schen Gemein­schaf­ten gel­ten. Die haben in ihrem Wesens­kern viel Umbruch­po­ten­zi­al. Eigent­lich haben sie das Rüst­zeug, um sol­che Wand­lungs­pro­zes­se wirk­lich zu gestal­ten und sich neu auf­zu­stel­len. Die fran­zis­ka­ni­schen Wer­te von der Lie­be zu Gott und zu den Men­schen, von Geschwis­ter­lich­keit und sozia­ler Gerech­tig­keit, von Schöp­fung und Nach­hal­tig­keit, vom Dia­log der Reli­gio­nen: All die­se The­men sind ele­men­tar auch für unse­re heu­ti­ge Gesell­schaft. Wir hät­ten dazu eigent­lich eine Men­ge zu sagen. Wir müs­sen uns nur an man­chen Stel­len neu auf­stel­len, neu mit­mi­schen und uns neu einbringen.

Was sind Ihre wei­te­ren Pläne?
Ich habe eine Sab­bat­zeit von rund einem hal­ben Jahr geplant, die ich ger­ne in den Nie­der­lan­den ver­brin­gen möch­te. Dort war ich in den letz­ten zwei Jah­ren für die noch weni­gen ver­blie­be­nen Mit­brü­der zustän­dig und habe im Auf­trag des Gene­ral­mi­nis­ters die Mög­lich­keit für einen Neu­be­ginn der Kapu­zi­ner in die­sem Land son­diert. Die­ses Pro­jekt wür­de ich ger­ne wäh­rend mei­ner Sab­bat­zeit noch ein wenig wei­ter­ver­fol­gen. Danach sehen wir wei­ter, was der lie­be Gott und die neue Pro­vinz­lei­tung mit mir vorhaben.

Zum Abschluss: Wel­chen Rat geben Sie Ihrem Nachfolger?
In mei­ner Zeit als Pro­vin­zi­al habe ich gelernt, dass die Fra­ge der Kom­mu­ni­ka­ti­on bei allen Ent­schei­dun­gen und Über­le­gun­gen eine der wich­tigs­ten ist. Sie muss qua­si immer mit­lau­fen und mit­be­dacht wer­den. Wich­tig ist das Gespräch mit den Men­schen und den Betrof­fe­nen, bevor man eine Ent­schei­dung fällt oder ver­öf­fent­licht. Ich glau­be ohne­hin dar­an, dass sich die Wahr­heits­fin­dung im Hei­li­gen Geist nicht zuletzt durch die Begeg­nung und das Gespräch ereig­net. Daher ist der Dia­log das Wich­tigs­te. Als ich im Jah­re 2004 zum ers­ten Mal Pro­vin­zi­al wur­de, hat­te ich mein ers­tes Gespräch mit einem sehr alten Mit­bru­der, der auch schon ein­mal Pro­vin­zi­al war. Ich habe ihn damals gefragt, ob er mir ein Wort mit auf den Weg geben möch­te. Sei­ne Ant­wort war: „Lie­be die Brüder!“

Vie­len Dank für das Gespräch!

Das Inter­view führ­te Tobi­as Rauser

 

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