FOTO: KAPUZINER/LEMRICH
BR. STEPHAN SCHWEITZER
ist seit 1983 Kapuziner. Der gebürtige Frankfurter wurde 1991 zum Priester geweiht und lebt zurzeit im Kloster Stühlingen.
Abschied aus Stühlingen und runder Geburtstag: Interview mit Br. Stephan Schweitzer
Im September feierte Br. Stephan Schweitzer seinen 60. Geburtstag. Im Interview blickt der Kapuziner auf seine Berufung und gute Begegnungen im Kloster zum Mitleben und sagt, wie er mit der Trauer um den Weggang aus Stühlingen umgeht.
Br. Stephan, Sie haben im September ihren 60. Geburtstag gefeiert. War das ein besonderer Geburtstag?
Eigentlich nein. Ich bin auch keiner, der groß Geburtstage feiert. Aber ein Runder ist dann halt doch Anlass, zumindest meine Angehörigen, die Mitbrüder und einige Freunde einzuladen. So konnte ich auch meine Mutter noch einmal nach Stühlingen locken, bevor wir hier weggehen. Und ein Punkt ändert sich mit dem 60 dann doch (lacht): Ich gehöre nun nicht mehr zu den „Jüngeren“ im Orden, die sich immer wieder mal als U60-Gruppe treffen.
Sie sind mit 21 Jahren in den Kapuzinerorden eingetreten. Was würden Sie dem jungen Br. Stephan von damals heute zurufen?
Hast du gut gemacht! Es war die richtige Entscheidung.
Während meines Ordenslebens sind mir auch andere Ordensgemeinschaften begegnet. Da wurde mir immer wieder klar: Du bist bei den Kapuzinern ganz richtig, das passt zu dir!
Warum sind Sie damals Kapuziner geworden?
Das in aller Kürze zu beantworten, ist gar nicht so leicht, aber ich versuche es. Während meines Zivildienstes, den ich in einer Diaspora-Pfarrgemeinde absolvierte, wurden mir verschiedene Dinge klar. Eigentlich wollte ich Informatik studieren, doch ich habe schnell gemerkt, dass ich lieber mit Menschen arbeite als vor Bildschirmen zu sitzen. Außerdem hatte ich viel Freude an der Arbeit in einer Kirchengemeinde und spürte den Wunsch in mir, als Priester und Seelsorger zu arbeiten. Da ich nicht der Typ „alleinstehender Pfarrer“ bin, sondern eine Gemeinschaft als Rückhalt brauche, fiel meine Entscheidung für ein Leben im Orden. Dass es dann die Kapuziner wurden, das lag an ihrer den Menschen zugewandten, unkomplizierten und direkten Art, die ich seit meinem 12. Lebensjahr an der Liebfrauenkirche in Frankfurt kennen und schätzen gelernt habe.
Warum sind Sie Kapuziner geblieben?
Ich gab keine bessere Alternative (lacht). Aber im Ernst: Bei allen Schwierigkeiten und Herausforderungen, die ein Ordensleben so mit sich bringt und die es auch bei mir gab, hatte ich nie das Gefühl, fehl am Platz zu sein. Ich habe mich immer in der Gemeinschaft beheimatet gefühlt. Ich konnte mich in den mir übertragenen Aufgaben mit meinen Fähigkeiten gut einbringen. Während meines Ordenslebens sind mir auch andere Ordensgemeinschaften begegnet. Da wurde mir immer wieder klar: Du bist bei den Kapuzinern ganz richtig, das passt zu dir!
Der Br. Stephan mit 21 und der mit 60: Was verbindet, was unterscheidet sie?
Der Enthusiasmus, die Welt zu verbessern, und die hohen Ideale, was das eigene Leben als Ordensmann angeht, die relativieren sich mit den Jahren. Oft ist man mit den eigenen Grenzen konfrontiert und muss sich in Bescheidenheit, Demut und in Selbstannahme üben. Das hat aber auch eine gute Seite: Dadurch wird der Umgang mit anderen barmherziger und menschlicher. Was definitiv geblieben ist: Meine Freude daran, jungen Menschen Erfahrungsräume zu eröffnen, sie herauszufordern und ihre eigenen Grenzen zu weiten.
Dieser Ort und dieses Konzept des Mitlebens hat etwas, das Menschen hilft, mit den Herausforderungen, den Belastungen, mit anstehenden Entscheidungen, mit Schmerz und Trauer gut umgehen zu können.
Es ist der letzte Geburtstag, den Sie im Kapuzinerkloster Stühlingen verbringen. Wie geht es Ihnen damit?
Es ist sehr schade, dass wir diesen für viele Menschen so heilsamen Ort aufgeben müssen. Wir schaffen es personell nicht mehr, ihn in angemessener Weise mit Leben zu füllen. Ich bin jetzt acht Jahre hier in Stühlingen und habe in dieser Zeit neben den alltäglichen Aufgaben viel Kraft und Energie in den Erhalt und die Renovationen des Gebäudes und des Gartens gesteckt, um unseren Mitlebegästen einen guten Aufenthalt bei uns zu ermöglichen. Da steckt viel Herzblut mit drin. Aber da wir Kapuziner ja, wie es so schön heißt, „Pilger und Fremdlinge“ sind und immer wieder in neue Aufgaben berufen werden, war auch für mich klar, dass meine Zeit hier in Stühlingen begrenzt ist. Mit dem wichtigen Unterschied in diesem Fall, dass wir mit dem Wechsel diesmal die Tür hinter uns abschließen werden.
Was war Stühlingen für Sie für ein Ort?
Für mich ist und war Stühlingen ein Ort, wo wir auf eine einmalige Weise franziskanisches Leben in einer Gemeinschaft aus Schwestern und Brüdern mit all den Menschen, die zu uns gekommen sind, geteilt haben. Als niederschwelliges Angebot hat es auch die erreicht, die sich erst einmal wieder oder zum ersten Mal dem Glauben und Kirche annähern wollen. Bei allen Veränderungen und Wandel über die 39 Jahres des Bestehens des Klosters zum Mitleben ist dieser Grundauftrag, Menschen auf unkomplizierte Weise an unserem Leben teilhaben zu lassen, immer bestehen geblieben und ermöglicht worden. Besonders gut hat mir hier immer gefallen, dass wir als Gemeinschaft einen gemeinsamen Auftrag erfüllen und nicht nur eine Hausgemeinschaft bilden, wo dann tagsüber jeder ganz eigenen Aufgaben nachgeht. Auch der Aufgabenmix aus Seelsorge, Begleitung der Gäste, Liturgie wie auch Arbeit in Haus, Küche und Garten und dazu die vielfältigen handwerklichen Herausforderungen bei Renovationen oder Reparaturen passen gut zu mir. Sie haben mich mit meinen Fähigkeiten immer wieder neu herausgefordert und weitergebracht.
Der Schmerz des Abschiedes bleibt natürlich. Aber ich habe das gute Gefühl, dass sich etwas Neues auftun wird, wo ich mich mit meinen Fähigkeiten wieder gut einbringen kann.
Was nehmen Sie mit von diesem Ort?
Viele Begegnungen und Menschen, mit den ich mich sehr verbunden fühle. Die wohltuende Erfahrung geschwisterlicher Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern. „Aus nix ebbes mache“. Die gelebte franziskanische Spiritualität und Geschwisterlichkeit mit den Menschen, mit den Tieren und mit der Natur. Nicht zuletzt kreativ gestaltete Gebetszeiten mit viel Gesang und Musik. Vor allem ist es die für mich sehr eindrückliche Erfahrung, dass dieser Ort für so viele Gäste, die mit uns mitgelebt haben, eine wohltuende, heilsame Zeit gewesen ist. Dieser Ort und dieses Konzept des Mitlebens hat etwas, das Menschen hilft, mit den Herausforderungen, den Belastungen, mit anstehenden Entscheidungen, mit Schmerz und Trauer gut umgehen zu können. Das Kloster zum Mitleben hat vielen geholfen, neue Perspektiven für sich zu finden und Hoffnung zu schöpfen. Und für viele war es auch ein Ort, um einmal im Jahr wieder körperlich und spirituell aufzutanken. Solche Räume für Menschen anzubieten, in denen sich Begegnung untereinander und mit Gott ereignen kann, dafür möchte ich mich auch in Zukunft engagieren. Wir wollen als Kapuzinerprovinz auch in Zukunft suchenden Menschen solche Orte des Mitlebens anbieten.
Wie gehen Sie mit der Trauer um Ort und Leute um?
Anfangs dachte ich: Nee, dieses Kloster hier mit aufzulösen und ausräumen zu müssen, das willst du nicht. Da lasse ich mich vorher irgendwo andershin versetzen. Mir ist mittlerweile klar geworden, dass wir nur dann als Kapuziner eine gute Zukunft gestalten können, wenn wir uns von manchem Liebgewonnenen trennen, damit der Freiraum entsteht, uns neu zu erfinden. Seitdem bin ich auch innerlich bereit, das Ausräumen hier vor Ort mit durchzuziehen. Der Schmerz des Abschiedes bleibt natürlich. Aber ich habe das gute Gefühl, dass sich etwas Neues auftun wird, wo ich mich mit meinen Fähigkeiten wieder gut einbringen kann. Das hilft mir, weniger zurück als vielmehr nach vorne zu blicken.
Sie sprechen den Neuanfang an: Was wünschen Sie sich?
Dass ich an einen Ort versetzt und mit einer Aufgabe betraut werde, bei der ich mich mit meinen Fähigkeiten gut einbringen kann. Und falls es wieder eine Form des Mitlebens wäre, würde ich mich darüber natürlich sehr freuen.
Das Interview führte Tobias Rauser