FOTO: KIÊN HÓNG LÉ
BR. Christophorus Goedereis
ist Provinzial der Deutschen Kapuzinerprovinz in lebt in München.
„Aufstehen und mutig neue Schritte gehen“
Weihnachten lädt dazu ein, neue Anfänge zu wagen. Doch was sind die wichtigen Fragen heute für uns Minderbrüder? Wie wollen wir leben? Über diese Fragen hat sich Br. Christophorus, Provinzial der Deutschen Kapuzinerprovinz, Gedanken gemacht.
Es gibt ein Gemälde in des mittelalterlichen Künstlers Giotto di Bondone in der Basilika San Francesco in Assisi, das mit in diesen Tagen sehr bewegt: Franziskus bittet Papst Innozenz III. um die Bestätigung seiner Lebensform/Ordensregel. Vor 800 Jahren war es Franziskus von Assisi, der seinerzeit von einem mächtigen Papst die Erlaubnis für eine neue, einfache und demütige Lebensform erbat. Heute ist es umgekehrt: Papst Franziskus ruft uns zu einem neuen, einfachen und verantwortungsbewussten Lebensstil auf.
Vor 800 Jahren war es Franziskus von Assisi, der Freundschaft mit dem Sultan von Syrien schloss – heute ist es Papst Franziskus, der den Dialog mit den Weltreligionen anregt. Vor 800 Jahren war es Franziskus von Assisi, der alle Geschöpfe als Schwestern und Brüder bezeichnete – heute ist es Papst Franziskus, der die Bewahrung der Schöpfung zu einem der wichtigsten Themen der Menschheit ausgerufen hat.
Und die Kirche? Nun, deren Situation ist im 21. Jahrhundert zumindest in vielen Punkten vergleichbar mit der zur Zeit des hl. Franziskus. Der franziskanische Auftrag „Franziskus, siehst du nicht, wie zerfallen mein Haus ist? Geh hin und baue es wieder auf!“ gilt heute nicht weniger als damals.
Wo stehen wir Minderbrüder – heute nach 800 Jahren mit den zeitlosen Anliegen unserer franziskanischen Spiritualität? Wenn wir in heutiger Zeit noch einmal neu nach Deutschland kämen, welche Schwerpunkte würden wir dann setzen? Wo würden wir uns niederlassen? Was würden wir arbeiten? Wovon würden wir leben? Um wen würden wir uns kümmern? Im Oktober dieses Jahres haben sich in Würzburg viele Minderbrüder (Franziskaner, Kapuziner und Minoriten) zum Interfranziskanischen Mattenkapitel getroffen, um sich anlässlich des 800-jährigen Jubiläums solchen Fragen zu stellen. Zur selben Zeit waren im polnischen Tschenstochau die europäischen Provinziale, Kustoden und Delegaten der Kapuziner versammelt, um darüber nachzudenken, wie wir die Flamme des franziskanischen Charismas in Europa neu entfachen können. Auch wir Kapuziner der Deutschen Kapuzinerprovinz fragen uns, wie wir in den kommenden Jahren leben, unseren Lebensstil erneuern und uns noch konsequenter von den drängenden Fragen unserer Zeit herausfordern lassen wollen. Vielleicht kann uns dazu das Fest der Menschwerdung Gottes ein paar Impulse geben.
An Weihnachten nimmt Gott unsere menschliche Gestalt an. Er steigt in unsere Wirklichkeit ein. Er fragt sich nicht, wie das, was immer schon so war, erhalten bleiben kann. Er beginnt etwas Neues: „Er war wie Gott, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich“ (Phil, 2, 6–7). Das ist das Mysterium, das den heiligen Franziskus Zeit seines Lebens so fasziniert hat, dass der allmächtige Gott sich auf unsere Wirklichkeit, auf unsere Welt – ja, auf unser Fleisch einlässt. Und so lädt das Geheimnis der Menschwerdung Gottes auch uns ein, nicht danach zu fragen, was wir machen müssen, damit es wieder so wird, wie es einmal war. Das Geheimnis der Menschwerdung Gottes lädt uns ein, zu fragen, was neu werden will und was neu werden muss.
„Europa ist müde geworden“, hat Papst Franziskus einmal gesagt. Sind vielleicht auch wir selbst müde geworden? Nun, diese Frage mag sich jeder selbst beantworten. Sicher ist: Weihnachten lädt uns ein, neue Anfänge zu wagen, so wie Gott es selbst tut – nicht müde zu werden, sondern aufzustehen und mutig neue Schritte zu gehen.
Liebe Schwestern und Brüder, werden wir – auch nach 800 Jahren franziskanischen Lebens in Deutschland – nicht müde, die Flamme unseres Charismas neu zum Leuchten zu bringen! Mit diesen Gedanken grüße ich Sie und euch alle zum diesjährigen Weihnachtsfest. Ich möchte denen danken, die mit uns in besonderer Weise verbunden sind: den verschiedenen Schwesterngemeinschaften, mit denen wir zusammenleben und zusammenarbeiten; den hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie allen Freundinnen und Freunden der Kapuziner. Und natürlich möchte ich meinen Mitbrüdern danken, für ihr Lebenszeugnis und für ihren Einsatz. Mein Dank gilt den Alten und den Jungen, den Gesunden und den Kranken – und nicht zuletzt denen, die auf einer unserer Pflegestationen leben und uns durch ihre Anteilnahme und ihr Gebet unterstützen.
Vergelt’s Gott für alles! Vergelt’s Gott für die Verbundenheit im Gebet! Ihnen und euch allen wünsche ich ein gnadenreiches und friedvolles Fest der Menschwerdung Gottes und ein gesegnetes Neues Jahr 2022.
Frieden und Heil – Vrede en alle goeds!
Br. Christophorus Goedereis OFMCap,
Provinzialminister der Deutschen Kapuzinerprovinz