FOTO: TOBIAS RAUSER
Der Sonnengesang des Franziskus: Anregung für eine Wende
Was kann uns der Sonnengesang des heiligen Franz von Assisi heute noch sagen? Gedanken zu einer neuen Haltung, Verzicht und die Stille als Voraussetzung für einen inneren Weg der Selbsterfahrung von Br. Guido Kreppold.
Vor wenigen Tagen, Anfang Oktober, haben wir Kapuziner unseren Ordensgründer gefeiert: Franziskus von Assisi (1181–1226). Zu gleicher Zeit gibt es Krisen wohin man auch schaut: Krieg und der Schrei nach Frieden, Klimakatastrophe und die Bewahrung der Schöpfung, eine zerstrittene Kirche mit Massenaustritten und Ratlosigkeit auf allen Ebenen.
Was hat der Mann aus dem Mittelalter damit zu tun? Der Heilige verfasste den bekannten Sonnengesang, der einen Menschen spiegelt, der Gott, den Geschöpfen und den Menschen zugleich nahe ist. Er nennt die Sonne Schwester, die aus ihm selbst leuchtet. Ihm, der die Sterne, das Feuer und selbst einen Wurm als Bruder, als Schwester, die Erde als seine Mutter sieht, ist die Natur Heimat wie eine Familie. Der Tod ist für ihn ein willkommener Bruder. Er hat seinen Schrecken verloren, ebenso die Feindschaft, die Menschen trennt. Damit ist auch die Angst vor der Zukunft geschwunden.
Diese Haltung würde eine Wende herbeiführen. Wir würden in Harmonie mit der Schöpfung und miteinander in Frieden leben. Die edlen Ziele werden jedoch nur als Einschränkung wahrgenommen. Dabei ist die Substanz seines Lebens ein einziger Jubel, eine Dichte der Existenz, welche die alten Bedürfnisse abgelegt hat. Der Verzicht als solcher stellt noch keinen Wert dar. Warum sollte die völlige Armut erstrebenswert sein?
Anders ist es, wenn man den Sonnengesang als Ausdruck einer Grundeinstellung sieht, die zu diesem Verzicht inspiriert hat. Daraus könnte ein Motiv werden, das so lautet: „Ich möchte den Sonnengesang des heiligen Franziskus mit der Freude und Überzeugung singen, mit der ihn der Heilige verfasst hat, vor allem möchte ich, dass die Liebe gelingt“. Dieser Wunsch kann sich erfüllen.
Hinter dem Sonnenlied steht ein Werdeprozess, der auch uns möglich ist. Er beginnt damit, dass man sein Innerstes zu erspüren versucht mit der Frage:“ Was berührt mich, was ergreift mich am Tiefsten?“ Es ist dasselbe, was in der Selbsterfahrung mit Träumen, der sogenannten Psychoanalyse, angestrebt wird. Die andere Seite des inneren Weges ist die absolute Stille, wie sie im Zen praktiziert wird. Hier denke ich etwa an das Meditationshaus St. Franziskus in Dietfurt, wo kaum ein Platz zu bekommen ist. Vor 50 Jahren wurde dort im Franziskanerkloster ein Zen-Meditationszentrum eingerichtet. Teilnehmer verlassen das Haus mit freudigen Gesichtern. Sie sind der Erleuchtung ein Stück nähergekommen und damit auch dem Sonnengesang, den ein Erleuchteter verfasst hat.