Interview

FOTO: KAPUZINER/LEMRICH

BR. Jürgen Meyer

wur­de 1947 in Osna­brück gebo­ren. Der Kapu­zi­ner lebt seit 2004 im Klos­ter zum Mit­le­ben in Stühlingen. 

20. Juli 2021

„Eine gute Entscheidung ist wie eine Quelle“

Theo­lo­gie statt Logis­tik: Bru­der Jür­gen Mey­er hat sich für ein Leben als Kapu­zi­ner ent­schie­den. Im Inter­view sagt der Ordens­mann, wie man zu einer guten Ent­schei­dung kommt, wel­che Rol­le Gott dabei spielt und war­um Zeit ein wich­ti­ger Fak­tor ist. 

Bru­der Jür­gen, was war die wich­tigs­te Ent­schei­dung Ihres Lebens?

Die wich­tigs­te Ent­schei­dung in mei­nem Leben war die, in den Kapu­zi­ner­or­den ein­zu­tre­ten. Die­sem Ent­schluss gin­gen Vor­stu­fen vor­aus, da ich schon 13 Jah­re vor­her im kirch­li­chen Dienst gear­bei­tet habe.

Wann war Ihnen klar, dass Sie die­se Ent­schei­dung tref­fen werden? 

Das war erst mit knapp 40 Jah­ren, als ich als Gemein­de­re­fe­rent in der Diö­ze­se Osna­brück tätig war, zuletzt in Ost­fries­land. Ich war schon immer auf der Suche. Ich habe mich gefragt: Wie kann ich mein Leben noch mehr kon­kre­ti­sie­ren, wie kann ich es auf mei­ne Beru­fung hin zuspitzen?

Die Fra­ge nach dem rich­ti­gen Weg. 

Ja, genau. Ich habe Theo­lo­gie stu­diert und bin dann Gemein­de­re­fe­rent gewor­den. Durch einen Pas­to­ral­kurs war ich dann auch fit für den Schul­dienst und für ver­schie­de­ne Auf­ga­ben in der Pfarrgemeinde. 

Sie stam­men aus einer Unter­neh­mer­fa­mi­lie, die ein gro­ßes, mit­tel­stän­di­sches Trans­port- und Logis­tik­un­ter­neh­men führt. Da war die Ent­schei­dung für ein Theo­lo­gie­stu­di­um nicht selbstverständlich. 

Nein, in der Tat. Das war am Anfang ein biss­chen schwie­rig (lacht). Die Eltern waren eher skep­tisch, als ich ankün­dig­te, Theo­lo­ge wer­den zu wollen.

Sie haben drei Geschwister. 

Wie waren vier Brü­der, ich war der Zweit­äl­tes­te. Der Ältes­te ist in den gym­na­sia­len Schul­dienst gegan­gen, mit den Fächern Theo­lo­gie und Ger­ma­nis­tik. Er war ver­hei­ra­tet und hat zwei Söh­ne. Für mich ergab sich erst nach eini­gem Suchen das rech­te Ziel. Ich woll­te gern in den pas­to­ra­len Dienst. Vie­les stand zur Debat­te: Pries­ter wer­den, oder eine Tätig­keit als Gemein­de- oder Pas­to­ral­re­fe­rent. Ich stu­dier­te Theo­lo­gie in Müns­ter und absol­vier­te dann in der Diö­ze­se Trier einen „Pas­to­ral­kurs“, der sowohl für Dia­ko­ne, Pas­to­ral­re­fe­ren­ten als auch Pries­ter­amts­kan­di­da­ten aus­ge­schrie­ben war.

Und war­um haben Sie sich dann für den Orden entschieden?

Ich bekam eine Anstel­lung als Gemein­de­re­fe­rent und arbei­te­te drei­zehn Jah­re in die­sem Beruf, zunächst vier Jah­re in der Diö­ze­se Trier, dann wie­der in Osna­brück, zuletzt sechs Jah­re in Ost­fries­land. Mein Lebens-Stand war der eines ledi­gen Man­nes. Da mich das nicht ganz zufrie­den­stell­te, such­te ich wei­ter. In der Gemein­schaft der Kapu­zi­ner fand ich eine neue Hei­mat – für mich per­sön­lich und für mei­nen Beruf. 

Woll­te Ihr Vater nicht, dass Sie in sei­ne Fuß­stap­fen tre­ten und sich für die Fir­ma entscheiden?

Nein, mein Vater hat sei­nen Weg und das fokus­sier­te Erfolgs­den­ken eines Unter­neh­mers auch sel­ber in Fra­ge gestellt. Wir waren vier Söh­ne, und erst der Jüngs­te hat sich dann für die Logis­tik inter­es­siert und die Lei­tung über­nom­men. Wir ande­ren durf­ten unse­ren eige­nen Weg gehen – und zwei sind Theo­lo­gen gewor­den. Mein Vater hat­te immer einen schar­fen Blick dafür, dass vie­le Din­ge – und gera­de äuße­re Erfol­ge im Geschäfts­le­ben – rela­tiv sind.

Haben Sie sich mal dar­über Gedan­ken gemacht, was aus Ihrem Leben gewor­den wäre, wenn Sie Spe­di­ti­ons­kauf­mann statt Kapu­zi­ner gewor­den wären?

Nein, ich kann das gar nicht den­ken. Da besit­ze ich kei­ne Vor­stel­lungs­kraft, denn es stand nie zur Debat­te für mich. Natür­lich inter­es­sie­re ich mich dafür, was zuhau­se so läuft. Aber beruf­lich war das nie, nie eine Option.

Sie haben mit dem Ein­tritt in den Orden auch auf Ihr Erbe verzichtet. 

Das stimmt. Aber die­ser Erb­ver­zicht hat mir nie viel aus­ge­macht. Ich habe die Ent­schei­dung nie bereut. Wenn ich mit mei­nem Ent­schluss gerun­gen habe, dann aus ande­ren Grün­den, aber sicher nicht vor dem Hin­ter­grund, dass ich hät­te Fir­men­chef wer­den können.

„Ich habe die Ent­schei­dung nie bereut“, sagen Sie. Sie sind jetzt 73, leben also über 30 Jah­re im Orden. Was waren wich­ti­ge Weg­mar­ken, die die Bedeu­tung der Ent­schei­dung immer wie­der klar gemacht haben?

Die­ser Schritt ist in einem Pro­zess gereift. Mit der Ent­schei­dung für ein Ordens­le­ben bei den Kapu­zi­nern ist aller­dings eine Men­ge mehr ver­bun­den. Es ist auch eine Ein­ord­nung in eine All­tags­ge­mein­schaft, zumin­dest bei uns Kapu­zi­nern. Wir sind ja nicht nur struk­tu­rier­te Jung­ge­sel­len, son­dern wir leben in einer kirch­li­chen Offen­heit für­ein­an­der. Dar­auf war ich nicht unmit­tel­bar vor­be­rei­tet, denn ich kam aus einer ein­sa­me­ren Lebens­si­tua­ti­on. Das ist der eine Punkt. Der ande­re Punkt ist der Ver­zicht auf ein Familienleben.

Sie sind jetzt 73 und haben schon die ein oder ande­re wich­ti­ge Ent­schei­dung getrof­fen, über ein paar haben wir gespro­chen. Wenn Sie vor einer wich­ti­gen Ent­schei­dung ste­hen, wie ist Ihre Herangehensweise? 

Auf­grund mei­ner eige­nen, etwas kom­pli­zier­te­ren Lebens­ge­schich­te gehe ich mit Ent­schei­dun­gen sehr vor­sich­tig um. Ich den­ke, dass wir oft mit soge­nann­ten Bauch­ent­schei­dun­gen dane­ben­grei­fen. Ich ver­su­che hin­ge­gen, alles zu sor­tie­ren. Geht es um etwas, das mir wich­tig ist – oder lohnt sich viel­leicht auch der Kampf gar nicht?

Dazu braucht es Zeit. 

Ja, in der Tat. Ich las­se mir Zeit, gehe dem Für und Wider ein paar Tage nach. Eine Ent­schei­dung muss gut vor­be­rei­tet sein. Schnell zu ent­schei­den ist heu­te ange­sagt, gilt als sexy. Aber oft kommt die Abwä­gung zu kurz. Dafür set­ze ich mich auch im Orden ein, wo ich in einer Arbeits­grup­pe, in der es um die Zukunft der Kapu­zi­ner geht, mit­ar­bei­te. Ich fin­de: Jeder Mit­bru­der soll­te sich sel­ber ein Bild machen, wie die Situa­ti­on des Ordens ist und wel­che Optio­nen für die Zukunft bestehen. Nur so kann jeder ein Urteil tref­fen, zu dem  er dann auch spä­ter ste­hen kann.

Kann man Ent­schei­dun­gen in Got­tes Hand legen? 

Ich den­ke dabei eher an die Per­son von Jesus. In der Begeg­nung mit ihm, im Gespräch mit ihm, da ent­ste­hen Prio­ri­tä­ten. Wenn wir zulas­sen, dass er uns über die Schul­ter schaut und ihn ein­be­zie­hen, dann kön­nen wir in einen inne­ren Dia­log mit ihm kom­men und unse­re Fra­gen gemein­sam angehen.

Und wie wird aus die­sem Dia­log eine Entscheidung?

Erst­mal geht es um die eige­nen per­sön­li­chen Gren­zen und Mög­lich­kei­ten. Und um den Fokus auf die The­men „Nächs­ten­lie­be“ und „Zuwen­dung zum Ande­ren“, wie ihn auch der jesu­a­nisch-bibli­sche Zusam­men­hang her­gibt. Wir tref­fen immer wie­der Ent­schei­dun­gen, die nicht nur auf der Grund­la­ge von schon ver­füg­ba­rem Fak­ten-Wis­sen gefällt wer­den. Eine Ent­schei­dung bil­det sich nach sorg­fäl­ti­ger Prü­fung, bei der auch die Außen­an­sicht zuge­las­sen ist und uns ande­re Rück­mel­dung geben.

Das heißt, auf Gott hören, aber auch auf ver­trau­te Menschen?

Ja, genau. Die Bezie­hung zu Gott wächst mit der Bezie­hung zu ver­trau­ten Men­schen zusam­men, denen wir Ein­blick geben in unse­ren Weg. Es hilft, sie zu fra­gen, wie sie zu einer Ent­schei­dung ste­hen. Dadurch wer­den wir infra­ge gestellt und es ent­steht so etwas wie eine lee­re Lein­wand. Alles muss neu durch­dacht, neu gefühlt und neu bestimmt wer­den. Eine gute Ent­schei­dung ist so etwas wie eine Quel­le. Sie ent­steht in uns und begrün­det sich in den ver­schie­dens­ten Rinn­sa­len und Ursachen.

Wie fühlt man, dass es die rich­ti­ge Ent­schei­dung war?

Es ent­steht eine inne­re Ruhe und Zuver­sicht. Das ist das wich­tigs­te Kri­te­ri­um. Der Weg dahin ist von Unru­he und Zuwar­ten geprägt. Um das Bild der Quel­le auf­zu­grei­fen: Erst ist es nur ein Wäs­ser­chen, dann wird es zu einem Bach, zu einem Fluss und schließ­lich zu einem brei­ten Strom. Das braucht sehr viel Geduld – und alles ande­re ergibt sich dann. 

Bru­der Jür­gen, vie­len Dank für das Gespräch!

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