Interview

FOTO: OFMCAP

BR. PAUL HINDER

ist Schwei­zer und wur­de 1942 gebo­ren. 1962 trat er in den Kapu­zi­ner­or­den ein und wur­de 1967 zum Pries­ter geweiht. Seit 2020 ist der Ordens­mann und Bischof als Apos­to­li­scher Admi­nis­tra­tor für das süd­li­che (Jemen, Oman, VAE) und nörd­li­che Ara­bi­en (Bah­rain, Katar, Sau­di-Ara­bi­en) verantwortlich.

7. April 2022

Interview mit Paul Hinder: Kapuziner und Bischof in Arabien

Paul Hin­der ist Kapu­zi­ner und Bischof von Ara­bi­en – und geht nach vie­len Jah­ren nun in den Ruhe­stand. Der Ordens­mann berich­tet im Inter­view auf kapuziner.de von der schwie­ri­gen Situa­ti­on der Chris­ten im Nahen Osten, vom inter­re­li­giö­sen Dia­log und Hei­mat­ge­füh­len mit Blick auf die Schweiz. 

Sie haben als Kapu­zi­ner die Ver­ant­wor­tung für vie­le Chris­ten in Ara­bi­en. Wie­vie­le Katho­li­ken gibt es vor Ort und wie ent­wi­ckelt sich die Zahl?
In den sie­ben Län­dern der Ara­bi­schen Halb­in­sel leben schät­zungs­wei­se rund 3,5 Mil­lio­nen Chris­ten. Um die 80 Pro­zent dürf­ten katho­li­schen Bekennt­nis­ses sein, katho­li­sche Ori­en­ta­le mit ein­ge­schlos­sen. Ihre Zahl ist im Moment eher rück­läu­fig, weil in ver­schie­de­nen Län­dern die Zahl der Aus­län­der im Arbeits­markt zuguns­ten der Ein­hei­mi­schen klei­ner wird.

Woher kom­men die­se Men­schen und in wel­chen Ver­hält­nis­sen leben sie? 
Unse­re Gläu­bi­gen sind mehr­heit­lich Arbeits­mi­gran­ten und kom­men vor­wie­gend aus dem süd­asia­ti­schen Raum, etwa Süd-Indi­en und Phil­ip­pi­nen. In unse­ren größ­ten Pfar­rei­en fin­den wir Gläu­bi­ge aus über hun­dert Natio­nen. Eng­lisch benüt­zen wir als lin­gua fran­ca, so wie frü­her ein­mal Latein die kirch­li­che Ver­stän­di­gungs­spra­che war.

Wie ist es um die Reli­gi­ons­frei­heit bestellt? 
Der Grad der Reli­gi­ons­frei­heit ist in den Län­dern ver­schie­den. Sau­di-Ara­bi­en ist nicht wie Bah­rain und die Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­te unter­schei­den sich dies­be­züg­lich von Kuwait. Im König­reich Sau­di-Ara­bi­en sind nicht-mus­li­mi­sche öffent­li­che Got­tes­diens­te nicht erlaubt, son­dern kön­nen nur pri­vat gefei­ert wer­den. In Bah­rain und den Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­ten ist die Got­tes­dienst­frei­heit weit­ge­hend gewähr­leis­tet. Das gilt modi­fi­ziert auch für ande­re Län­der der Region.

Im Jemen, für das Sie auch zustän­dig sind, herrscht Krieg. Ist dort reli­giö­ses Leben für Chris­ten über­haupt möglich?
Im Jemen lei­den alle unter dem Krieg. Die Zahl der Chris­ten ist auf eine ver­schwin­dend klei­ne Grup­pe zusam­men­ge­schrumpft. In der Haupt­stadt Sana’a gibt es eine klei­ne Pfar­rei mit einem Pries­ter, der zusam­men mit den Schwes­tern von Mut­ter The­re­sa die Gläu­bi­gen zusam­men­hält. Es han­delt sich um ein beschei­de­nes Zeug­nis der Lie­be unter den Armen und der Ver­söh­nung in einem zer­strit­te­nen Land. Ob und wie die Saat auf­geht und Frucht trägt, über­las­sen wir dem Herrn der Ernte.

Reli­giö­ser „small talk“ ver­hin­dert oft, sich den drän­gen­den Fra­gen zu stel­len, wie zum Bei­spiel der Fra­ge nach ech­ter Religionsfreiheit.“

Sie haben oft einen stär­ke­ren Dia­log der Reli­gio­nen ange­mahnt. Was wün­schen Sie sich von Ihrer Kir­che, aber auch von ande­ren Akteuren? 
Ich wün­sche mir, dass wir als kirch­li­che Gemein­schaft unse­ren eige­nen Glau­ben bes­ser ken­nen und leben. Dies kann und soll gesche­hen in Aus­ein­an­der­set­zung mit ande­ren Glau­bens­wel­ten. Das setzt ver­mehr­te Kennt­nis ande­rer Reli­gio­nen und den Respekt ihnen gegen­über voraus.

Hat Papst Fran­zis­kus die­sem The­ma einen Schub gegeben?
Papst Fran­zis­kus hat mit dem The­ma „mensch­li­che Geschwis­ter­lich­keit“, auf eng­lisch „Human Fra­ter­ni­ty“, zusam­men mit einem wich­ti­gen Ver­tre­ter der mus­li­mi­schen Welt an einer trag­fä­hi­gen gemein­sa­men Lebens- und Akti­ons­ba­sis gear­bei­tet. Sein Besuch in Abu Dha­bi anfangs Febru­ar 2019 war eines der wich­ti­gen Signa­le sei­nes bis­he­ri­gen Pontifikats.

Wie erle­ben Sie den inter­re­li­giö­sen Dia­log in Arabien?
Was ich in den ver­gan­ge­nen 18 Jah­ren erlebt habe, war einer­seits beein­dru­ckend. Ich nahm es nicht als selbst­ver­ständ­lich, dass in einem von vie­len Kon­flik­ten gepräg­ten Gebiet Dia­log zwi­schen ganz ver­schie­de­nen Lagern über­haupt statt­fand. Ander­seits hat­te ich oft den Ein­druck von einer gewis­sen Ober­fläch­lich­keit. Mit ande­ren Wor­ten: Reli­giö­ser „small talk“ ver­hin­dert oft, sich den drän­gen­den Fra­gen zu stel­len, wie zum Bei­spiel der Fra­ge nach ech­ter Religionsfreiheit.

Wie wür­de Franz von Assi­si auf die Situa­ti­on in Ara­bi­en blicken?
Er wür­de wohl wie­der­ho­len, was er sei­nen Brü­dern in der nicht-bul­lier­ten Regel sagt: Dass näm­lich die Brü­der unter den Sara­ze­nen geist­lich wan­deln kön­nen, wenn sie „weder zan­ken noch strei­ten, son­dern um Got­tes wil­len jeder mensch­li­chen Krea­tur unter­tan sind und beken­nen, dass sie Chris­ten sind.“

Sie sind auch beim The­ma „Migra­ti­on“ enga­giert. Was erwar­ten Sie für das kom­men­de Jahr­zehnt? Und was erhof­fen Sie sich beim The­ma Migra­ti­on von Europa?
Kli­ma­ver­än­de­run­gen, Kon­flik­te und öko­no­mi­sche Ver­schie­bun­gen wer­den die welt­wei­te Migra­ti­on wei­ter­hin beför­dern. Regio­nen wie Euro­pa wer­den wei­ter­hin Migran­ten anzie­hen und auch auf Zuwachs ange­wie­sen sein. Ich hof­fe, dass die migra­ti­ons­be­ding­ten Ver­wer­fun­gen ohne men­schen­ver­ach­ten­de Maß­nah­men und ohne Gewalt­aus­brü­che bewäl­tigt wer­den. Es wird sich zei­gen, ob die Kir­che noch eine mit­ge­stal­ten­de und kon­flikt­lö­sen­de Kraft ist, wie es eigent­lich ihre Auf­ga­be sein sollte.

Sie sind Bischof von Ara­bi­en. War­um sind die Kapu­zi­ner eigent­lich in die­ser Regi­on vertreten?
Die ers­ten Kapu­zi­ner kamen in der Mit­te des 19. Jahr­hun­derts nach Aden (Süd-Jemen) und Dsch­id­dah (Jed­dah) am Roten Meer. Da eine tra­di­tio­nel­le Mis­si­ons­ar­beit nicht mög­lich war, kon­zen­trier­ten sie sich auf die Seel­sor­ge der Chris­ten, die sich vor allem in der bri­ti­schen Kolo­nie Aden aus aller Welt nie­der­ge­las­sen hat­ten. Aden blieb bis in die 1960er Jah­re der Sitz des Apos­to­li­schen Vika­ri­ats, das 1888 errich­tet wor­den war. Der Kapu­zi­ner­or­den ist von der Kon­gre­ga­ti­on für die Evan­ge­li­sie­rung der Völ­ker mit dem Gebiet betraut und stellt nor­ma­ler­wei­se auch die Bischö­fe. Als der Süd-Jemen unab­hän­gig und zu einer kom­mu­nis­ti­schen Volks­re­pu­blik wur­de, muss­ten die Kapu­zi­ner und die Ordens­schwes­tern bis auf zwei Mit­brü­der das Land ver­las­sen. Die rasan­te öko­no­mi­sche Ent­wick­lung am Golf im Gefol­ge des Erd­öl-Booms führ­te zu einer Ver­la­ge­rung der Mis­si­on zuerst nach Bah­rain und spä­ter nach Abu Dha­bi, Mus­cat, Doha und ande­re Orte. Vor gut zehn Jah­ren zähl­te das dama­li­ge Vika­ri­at von Ara­bi­en um die drei Mil­lio­nen katho­li­sche Gläu­bi­ge. Gegen­wär­tig sind die Zah­len rück­läu­fig, was mit der Wirt­schafts­po­li­tik der ver­schie­de­nen Län­der und nicht zuletzt mit den Fol­gen der Pan­de­mie zu tun hat.

Wie geht das zusam­men: Kapu­zi­ner und Bischof?
Als Kapu­zin­er­bi­schof habe ich hier in der Golf­re­gi­on das Glück, von Mit­brü­dern umge­ben zu sein. Die Mehr­heit mei­ner Mit­ar­bei­ter im Bischofs­haus und in den Pfar­rei­en sind Kapu­zi­ner. Ich bemü­he mich, mit­ten im Luxus der Golf­re­gi­on um einen beschei­de­nen Lebens­stil, auch, wenn ich als Bischof natür­lich nicht mit dem Fahr­rad nach Dubai, Aden oder Riad rei­sen kann. Wir beten gemein­sam die Tag­zei­ten, soweit das mög­lich ist. Wir fei­ern unse­re Fes­te. Als Bischof bemü­he ich mich um ein brü­der­li­ches Ver­hält­nis zu den Gläu­bi­gen und natür­lich beson­ders zu den Pries­tern. Mein All­tags­ge­wand ist der Kapu­zi­ner­ha­bit, aller­dings kli­ma­be­dingt in wei­ßer Far­be und mit leich­tem Stoff, was übri­gens aus­ge­zeich­net zu den Klei­der­ge­wohn­hei­ten der ein­hei­mi­schen Emi­ra­ti passt.

War­um sind Sie Kapu­zi­ner geworden?
Ich bin im Unter­schied zu einem mei­ner Brü­der nicht Bene­dik­ti­ner, son­dern Kapu­zi­ner gewor­den, weil ich nicht für ein gan­zes Leben in der glei­chen Abtei sein woll­te, son­dern den Drang nach mis­sio­na­ri­scher Mobi­li­tät in mir spür­te. Der hei­li­ge Fran­zis­kus von Assi­si hat mich fas­zi­niert. Für mei­ne Beru­fung wich­ti­ger waren aller­dings leben­di­ge Bei­spie­le im Orden. Dazu gehört auch ein Onkel, der mich als Lai­en­bru­der beein­druckt und beein­flusst hat. Ich war gut 20-jäh­rig, als ich das Novi­zi­at begann. Weni­ge Wochen spä­ter begann das zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Wir spür­ten rasch, dass die­ses auch für den Orden nach­hal­ti­ge Kon­se­quen­zen haben würde.

Was fas­zi­niert Sie an Arabien? 
Was mich in den 18 Jah­ren, seit ich hier bin, fas­zi­niert hat, ist die rasan­te Ent­wick­lung einer Regi­on, die inner­halb von 50 Jah­ren dank Erd­öl von den Bedui­nen-Zel­ten in das IT-Zeit­al­ter mit hoch­mo­der­nen Mega-Städ­ten kata­pul­tiert wur­de. Ich habe erlebt, wie inner­halb weni­ger Jah­re neue Städ­te aus der Wüs­te ent­stan­den. Aller­dings war der Preis für vie­le Men­schen zu hoch. Zu vie­le haben den Boom mit dem Ver­lust ihrer Frei­heit und oft genug auch ihrer mora­li­schen Inte­gri­tät bezahlt. Ganz zu schwei­gen von den Fami­li­en, die aus­ein­an­der­ge­ris­sen wur­den und oft genug in Brü­che gingen.

Was ver­mis­sen Sie als Schwei­zer besonders?
Die Wüs­te hat zwei­fel­los ihre eige­ne fas­zi­nie­ren­de Schön­heit. Den­noch über­kommt mich jedes Früh­jahr etwas Weh­mut, wenn ich an die blü­hen­de und grü­ne Hei­mat den­ke, wo ich in der Nähe des Boden­sees auf­ge­wach­sen bin. Zudem ist es für einen demo­kra­ti­schen Schwei­zer nicht immer ein­fach, sich mit den Mon­ar­chien anzu­freun­den, wo man die Wahr­heit nicht offen sagen kann oder sie dann mit Honig bestrei­chen muss, damit sie für die Scheichs noch genieß­bar ist.

Was bedeu­tet für Sie Hei­mat, und wo ist die?
Ich lie­be mei­ne ursprüng­li­che Hei­mat in der Schweiz, bin ihr aber sehr früh ent­wach­sen. Zuerst leb­te ich als Kapu­zi­ner an ver­schie­de­nen Orten in der Schweiz sowohl im fran­zö­sisch- wie deutsch­spra­chi­gen Teil. Dann war ich knapp zehn Jah­re in Rom wohn­haft. Nun lebe ich seit mehr als 18 Jah­ren in Abu Dha­bi. Ich hat­te nie Schwie­rig­kei­ten, mich an neu­en Orten ein­zu­le­ben und zuhau­se zu füh­len. Wenn ich seit 18 Jah­ren zu jeman­dem irgend­wo in der Welt sage „Ich gehe jetzt nach Hau­se“, dann mei­ne ich Abu Dha­bi und nicht Rom oder die Schweiz. Wahr­schein­lich wer­de ich als Bischof eme­ri­tus in mei­ne Hei­mat­pro­vinz zurückkehren.

Vie­len Dank für das Gespräch!
Das Inter­view führ­te Tobi­as Rauser

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