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BR. PAUL HINDER
ist Schweizer und wurde 1942 geboren. 1962 trat er in den Kapuzinerorden ein und wurde 1967 zum Priester geweiht. Seit 2020 ist der Ordensmann und Bischof als Apostolischer Administrator für das südliche (Jemen, Oman, VAE) und nördliche Arabien (Bahrain, Katar, Saudi-Arabien) verantwortlich.
Interview mit Paul Hinder: Kapuziner und Bischof in Arabien
Paul Hinder ist Kapuziner und Bischof von Arabien – und geht nach vielen Jahren nun in den Ruhestand. Der Ordensmann berichtet im Interview auf kapuziner.de von der schwierigen Situation der Christen im Nahen Osten, vom interreligiösen Dialog und Heimatgefühlen mit Blick auf die Schweiz.
Sie haben als Kapuziner die Verantwortung für viele Christen in Arabien. Wieviele Katholiken gibt es vor Ort und wie entwickelt sich die Zahl?
In den sieben Ländern der Arabischen Halbinsel leben schätzungsweise rund 3,5 Millionen Christen. Um die 80 Prozent dürften katholischen Bekenntnisses sein, katholische Orientale mit eingeschlossen. Ihre Zahl ist im Moment eher rückläufig, weil in verschiedenen Ländern die Zahl der Ausländer im Arbeitsmarkt zugunsten der Einheimischen kleiner wird.
Woher kommen diese Menschen und in welchen Verhältnissen leben sie?
Unsere Gläubigen sind mehrheitlich Arbeitsmigranten und kommen vorwiegend aus dem südasiatischen Raum, etwa Süd-Indien und Philippinen. In unseren größten Pfarreien finden wir Gläubige aus über hundert Nationen. Englisch benützen wir als lingua franca, so wie früher einmal Latein die kirchliche Verständigungssprache war.
Wie ist es um die Religionsfreiheit bestellt?
Der Grad der Religionsfreiheit ist in den Ländern verschieden. Saudi-Arabien ist nicht wie Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate unterscheiden sich diesbezüglich von Kuwait. Im Königreich Saudi-Arabien sind nicht-muslimische öffentliche Gottesdienste nicht erlaubt, sondern können nur privat gefeiert werden. In Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten ist die Gottesdienstfreiheit weitgehend gewährleistet. Das gilt modifiziert auch für andere Länder der Region.
Im Jemen, für das Sie auch zuständig sind, herrscht Krieg. Ist dort religiöses Leben für Christen überhaupt möglich?
Im Jemen leiden alle unter dem Krieg. Die Zahl der Christen ist auf eine verschwindend kleine Gruppe zusammengeschrumpft. In der Hauptstadt Sana’a gibt es eine kleine Pfarrei mit einem Priester, der zusammen mit den Schwestern von Mutter Theresa die Gläubigen zusammenhält. Es handelt sich um ein bescheidenes Zeugnis der Liebe unter den Armen und der Versöhnung in einem zerstrittenen Land. Ob und wie die Saat aufgeht und Frucht trägt, überlassen wir dem Herrn der Ernte.
Religiöser „small talk“ verhindert oft, sich den drängenden Fragen zu stellen, wie zum Beispiel der Frage nach echter Religionsfreiheit.“
Sie haben oft einen stärkeren Dialog der Religionen angemahnt. Was wünschen Sie sich von Ihrer Kirche, aber auch von anderen Akteuren?
Ich wünsche mir, dass wir als kirchliche Gemeinschaft unseren eigenen Glauben besser kennen und leben. Dies kann und soll geschehen in Auseinandersetzung mit anderen Glaubenswelten. Das setzt vermehrte Kenntnis anderer Religionen und den Respekt ihnen gegenüber voraus.
Hat Papst Franziskus diesem Thema einen Schub gegeben?
Papst Franziskus hat mit dem Thema „menschliche Geschwisterlichkeit“, auf englisch „Human Fraternity“, zusammen mit einem wichtigen Vertreter der muslimischen Welt an einer tragfähigen gemeinsamen Lebens- und Aktionsbasis gearbeitet. Sein Besuch in Abu Dhabi anfangs Februar 2019 war eines der wichtigen Signale seines bisherigen Pontifikats.
Wie erleben Sie den interreligiösen Dialog in Arabien?
Was ich in den vergangenen 18 Jahren erlebt habe, war einerseits beeindruckend. Ich nahm es nicht als selbstverständlich, dass in einem von vielen Konflikten geprägten Gebiet Dialog zwischen ganz verschiedenen Lagern überhaupt stattfand. Anderseits hatte ich oft den Eindruck von einer gewissen Oberflächlichkeit. Mit anderen Worten: Religiöser „small talk“ verhindert oft, sich den drängenden Fragen zu stellen, wie zum Beispiel der Frage nach echter Religionsfreiheit.
Wie würde Franz von Assisi auf die Situation in Arabien blicken?
Er würde wohl wiederholen, was er seinen Brüdern in der nicht-bullierten Regel sagt: Dass nämlich die Brüder unter den Sarazenen geistlich wandeln können, wenn sie „weder zanken noch streiten, sondern um Gottes willen jeder menschlichen Kreatur untertan sind und bekennen, dass sie Christen sind.“
Sie sind auch beim Thema „Migration“ engagiert. Was erwarten Sie für das kommende Jahrzehnt? Und was erhoffen Sie sich beim Thema Migration von Europa?
Klimaveränderungen, Konflikte und ökonomische Verschiebungen werden die weltweite Migration weiterhin befördern. Regionen wie Europa werden weiterhin Migranten anziehen und auch auf Zuwachs angewiesen sein. Ich hoffe, dass die migrationsbedingten Verwerfungen ohne menschenverachtende Maßnahmen und ohne Gewaltausbrüche bewältigt werden. Es wird sich zeigen, ob die Kirche noch eine mitgestaltende und konfliktlösende Kraft ist, wie es eigentlich ihre Aufgabe sein sollte.
Sie sind Bischof von Arabien. Warum sind die Kapuziner eigentlich in dieser Region vertreten?
Die ersten Kapuziner kamen in der Mitte des 19. Jahrhunderts nach Aden (Süd-Jemen) und Dschiddah (Jeddah) am Roten Meer. Da eine traditionelle Missionsarbeit nicht möglich war, konzentrierten sie sich auf die Seelsorge der Christen, die sich vor allem in der britischen Kolonie Aden aus aller Welt niedergelassen hatten. Aden blieb bis in die 1960er Jahre der Sitz des Apostolischen Vikariats, das 1888 errichtet worden war. Der Kapuzinerorden ist von der Kongregation für die Evangelisierung der Völker mit dem Gebiet betraut und stellt normalerweise auch die Bischöfe. Als der Süd-Jemen unabhängig und zu einer kommunistischen Volksrepublik wurde, mussten die Kapuziner und die Ordensschwestern bis auf zwei Mitbrüder das Land verlassen. Die rasante ökonomische Entwicklung am Golf im Gefolge des Erdöl-Booms führte zu einer Verlagerung der Mission zuerst nach Bahrain und später nach Abu Dhabi, Muscat, Doha und andere Orte. Vor gut zehn Jahren zählte das damalige Vikariat von Arabien um die drei Millionen katholische Gläubige. Gegenwärtig sind die Zahlen rückläufig, was mit der Wirtschaftspolitik der verschiedenen Länder und nicht zuletzt mit den Folgen der Pandemie zu tun hat.
Wie geht das zusammen: Kapuziner und Bischof?
Als Kapuzinerbischof habe ich hier in der Golfregion das Glück, von Mitbrüdern umgeben zu sein. Die Mehrheit meiner Mitarbeiter im Bischofshaus und in den Pfarreien sind Kapuziner. Ich bemühe mich, mitten im Luxus der Golfregion um einen bescheidenen Lebensstil, auch, wenn ich als Bischof natürlich nicht mit dem Fahrrad nach Dubai, Aden oder Riad reisen kann. Wir beten gemeinsam die Tagzeiten, soweit das möglich ist. Wir feiern unsere Feste. Als Bischof bemühe ich mich um ein brüderliches Verhältnis zu den Gläubigen und natürlich besonders zu den Priestern. Mein Alltagsgewand ist der Kapuzinerhabit, allerdings klimabedingt in weißer Farbe und mit leichtem Stoff, was übrigens ausgezeichnet zu den Kleidergewohnheiten der einheimischen Emirati passt.
Warum sind Sie Kapuziner geworden?
Ich bin im Unterschied zu einem meiner Brüder nicht Benediktiner, sondern Kapuziner geworden, weil ich nicht für ein ganzes Leben in der gleichen Abtei sein wollte, sondern den Drang nach missionarischer Mobilität in mir spürte. Der heilige Franziskus von Assisi hat mich fasziniert. Für meine Berufung wichtiger waren allerdings lebendige Beispiele im Orden. Dazu gehört auch ein Onkel, der mich als Laienbruder beeindruckt und beeinflusst hat. Ich war gut 20-jährig, als ich das Noviziat begann. Wenige Wochen später begann das zweite Vatikanische Konzil. Wir spürten rasch, dass dieses auch für den Orden nachhaltige Konsequenzen haben würde.
Was fasziniert Sie an Arabien?
Was mich in den 18 Jahren, seit ich hier bin, fasziniert hat, ist die rasante Entwicklung einer Region, die innerhalb von 50 Jahren dank Erdöl von den Beduinen-Zelten in das IT-Zeitalter mit hochmodernen Mega-Städten katapultiert wurde. Ich habe erlebt, wie innerhalb weniger Jahre neue Städte aus der Wüste entstanden. Allerdings war der Preis für viele Menschen zu hoch. Zu viele haben den Boom mit dem Verlust ihrer Freiheit und oft genug auch ihrer moralischen Integrität bezahlt. Ganz zu schweigen von den Familien, die auseinandergerissen wurden und oft genug in Brüche gingen.
Was vermissen Sie als Schweizer besonders?
Die Wüste hat zweifellos ihre eigene faszinierende Schönheit. Dennoch überkommt mich jedes Frühjahr etwas Wehmut, wenn ich an die blühende und grüne Heimat denke, wo ich in der Nähe des Bodensees aufgewachsen bin. Zudem ist es für einen demokratischen Schweizer nicht immer einfach, sich mit den Monarchien anzufreunden, wo man die Wahrheit nicht offen sagen kann oder sie dann mit Honig bestreichen muss, damit sie für die Scheichs noch genießbar ist.
Was bedeutet für Sie Heimat, und wo ist die?
Ich liebe meine ursprüngliche Heimat in der Schweiz, bin ihr aber sehr früh entwachsen. Zuerst lebte ich als Kapuziner an verschiedenen Orten in der Schweiz sowohl im französisch- wie deutschsprachigen Teil. Dann war ich knapp zehn Jahre in Rom wohnhaft. Nun lebe ich seit mehr als 18 Jahren in Abu Dhabi. Ich hatte nie Schwierigkeiten, mich an neuen Orten einzuleben und zuhause zu fühlen. Wenn ich seit 18 Jahren zu jemandem irgendwo in der Welt sage „Ich gehe jetzt nach Hause“, dann meine ich Abu Dhabi und nicht Rom oder die Schweiz. Wahrscheinlich werde ich als Bischof emeritus in meine Heimatprovinz zurückkehren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Tobias Rauser