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BR. JEREMIAS BORGARDS
ist seit 1991 Kapuziner. Der Krankenpfleger und Priester lebt zurzeit im Kapuzinerkloster Münster und koordiniert von dort die Ukraine-Hilfe des Ordens.
Ukraine-Hilfe: Interview zur Situation vor Ort mit Br. Jeremias
Br. Jeremias Borgards war schon mehrere Male in der Ukraine und organisiert die Hilfe der Kapuziner ins Kriegsgebiet. Im Interview berichtet er von seiner Arbeit und sagt, wie die Lage vor Ort aussieht.
Br. Jeremias, wie ist der aktuelle Stand der Dinge?
Br. Jeremias Borgards: Wir haben ganz aktuell in den letzten Tagen einige 40-Tonner mit Lebensmitteln auf den Weg nach Lviv schicken können. Zwar war es diesmal etwas schwierig, Speditionen zu finden, aber am Ende haben wir gute Lösungen gefunden.
Wer kümmert sich bei den Kapuzinern um die Beschaffung der Güter?
Darum kümmere ich mich. Ich habe durch meine Begegnungen in der Ukraine gute Kontakte, die mir genau sagen, was zurzeit wo benötigt wird. Das sind die Menschen im Priesterseminar, wo ich immer übernachten durfte. Und die Malteser, bei denen ich am Bahnhof bei der Versorgung der Flüchtenden mitgeholfen habe. Nur was wirklich gebraucht wird, besorge ich. Ich werde diese Koordination auch in Zukunft machen, selbst wenn ich wie geplant am 1. August nach Albanien gehe. Wir werden die Menschen in der Ukraine langfristig unterstützen, was dank unserer großzügigen Spenderinnen und Spender gut möglich ist. Ich bin sehr dankbar dafür. Ich werde von Br. Moritz unterstützt, mit dem ich ja zu Beginn in der Ukraine war und der nun sein Studium in Münster begonnen hat. Er kümmert sich um die Spenderinnen und Spender.
Was ist denn bisher an Hilfsgütern in die Ukraine gebracht worden?
Was mit einem kleinen Transporter gestartet ist, hat sich wirklich toll entwickelt. Bisher sind acht 40-Tonner in der Ukraine angekommen, die ich vermitteln konnte. Der erste Transport hatte unterschiedliche Güter geladen, medizinisches Material, Lebensmittel, Rollstühle. Dann wurden uns einige Lkw mit Aufbackbrötchen angeboten. Ein Lkw nur mit medizinischen Gütern folgte, dann einer mit Buchweizen. Nun stehen hier wieder verschiedene Paletten mit Lebensmitteln, Wasser und Hygieneartikeln und warten auf die Verladung.
Was passiert mit den Gütern, wenn der Lkw in Lviv angekommen ist?
Der Lastwagen lädt in Lviv die meisten Güter beim Priesterseminar ab, einiges wird zu den Maltesern gebracht. Dann wird es von dort kleinteilig im Land an die Stellen gebracht, wo es gebraucht wird. Wir haben ja persönlich vor einigen Monaten zwei Kleinbusse in die Ukraine gefahren, die dort nun zum Beispiel für diese Zwecke und den Transport von Verwundeten eingesetzt werden.
Wie ist aktuell die Situation in Lviv, was hören Sie?
Die Lage ändert sich schnell, in Wellen. Immer wieder verstärken die Russen den Terror im Osten, und dann kommen aus diesen Gebieten auch wieder mehr Menschen. Aus Donezk, Luhanzk, aber auch wieder aus Charkiw. Aus den Gebieten, die schon lange beschossen werden, kommt niemand mehr. Ruhig ist es dennoch nicht, denn es sind ja wahnsinnig viele Geflüchtete vor Ort. Wir unterstützen da die Institutionen, die diesen Menschen helfen. Klöster, die Malteser und auch private Initiativen. Vor einiger Zeit habe ich außerdem die dringende Bitte bekommen, möglichst viele Hilfsgüter nach Lviv zu schicken, da die Flächenbombardements zugenommen haben und auch der Westen der Ukraine immer stärker unter Beschuss gerät. Wir versuchen aus diesem Grund zurzeit, ein paar Vorräte aufzubauen, so dass die Menschen bei stärkeren Kriegshandlungen, selbst wenn keine Hilfsgüter mehr ins Land gebracht werden können, zumindest einige Zeit versorgt werden können.
Wie ist denn die Stimmung im Priesterseminar?
Es ist schwer für die jungen Männer dort. Die psychische Belastung ist riesig. Auf der anderen Seite hilft es, unsere Hilfsgüter von den Lkw abzuladen und zu verteilen. Diese Arbeit ist wichtig und lässt manchmal die Hilflosigkeit und Angst ein wenig vergessen.
Dieser Krieg dauert schon Monate. Hier im Westen hat man fast das Gefühl, dass sich manche damit abgefunden haben. Wie ist das vor Ort?
Die Schreckensmeldungen aus dem Osten der Ukraine belasten die Familien sehr. Viele Familien haben ihre Angehörigen verloren, die als Soldatinnen und Soldaten kämpften. Viele sind traumatisiert und es gibt zu wenig Psychologen vor Ort. Und die wenigen Psychologen fallen mit der Zeit aus, weil die Belastung zu hoch ist. Dieses Problem ist riesig, wird sich noch verstärken und es gibt keine Lösung. Ich habe dennoch die Hoffnung, dass die vorhandenen Sozialstrukturen etwa in den Großfamilien einiges auffangen können. Und natürlich der tiefe und feste christliche Glaube.
Wie hat Sie die Zeit in Lviv verändert?
Oft halte ich es hier in Deutschland nicht mehr aus. Dieses Kleinkarierte, das Bürokratische, mir fehlt oft das Verständnis dafür. Wenn ich an die Probleme in der Ukraine denke, wirkt vieles andere unwichtig. Ein zweiter Punkt, der mir wichtig ist: Ich treffe hier in Deutschland auf eine weitere Gruppe von Geflüchteten, die schon seit Jahren hier ist: Menschen, die zwischen 2015 und heute aus Afrika, Afghanistan, Syrien und vielen anderen Ländern dieser Welt gekommen sind. Viele von ihnen haben stark unter Krieg und Terror oder russischen Bomben gelitten, wie die Menschen aus der Ukraine. Und doch werden sie nicht gleichbehandelt, obwohl es alles Drittstaatenflüchtlinge sind! Dass sie so eine Ungerechtigkeit in der Behandlung erfahren, das bekümmert mich sehr. Anders formuliert: Es macht mich wütend. Wie die Syrer, Schwarzafrikaner und Afghanen hier behandelt werden, ist menschenunwürdig. Dass es anders geht, sehen wir ja jetzt. Das muss sich ändern.
Wie geht es für Sie weiter?
In den nächsten Wochen werde ich mich ausschließlich um die Ukraine-Hilfe kümmern: Logistik, Güter besorgen, Kontakt halten, Gelder akquirieren, Pressearbeit. Im August werde ich nach Albanien ziehen und von dort aus weiter für die Ukraine arbeiten. Gleichzeitig ist schon seit längerem geplant, rund um unsere Missionsstation eine mobile Ambulanz aufzubauen.
Danke für das Gespräch!
Das Interview führte Tobias Rauser.
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