Interview

FOTO: BLIND­ZEI­LE

BR. JEREMIAS BORGARDS

ist seit 1991 Kapu­zi­ner. Der Kran­ken­pfle­ger und Pries­ter lebt zur­zeit im Kapu­zi­ner­klos­ter Müns­ter und koor­di­niert von dort die Ukrai­ne-Hil­fe des Ordens. 

1. Juli 2022

Ukraine-Hilfe: Interview zur Situation vor Ort mit Br. Jeremias

Br. Jere­mi­as Bor­gards war schon meh­re­re Male in der Ukrai­ne und orga­ni­siert die Hil­fe der Kapu­zi­ner ins Kriegs­ge­biet. Im Inter­view berich­tet er von sei­ner Arbeit und sagt, wie die Lage vor Ort aussieht. 

Br. Jere­mi­as, wie ist der aktu­el­le Stand der Dinge?
Br. Jere­mi­as Bor­gards: Wir haben ganz aktu­ell in den letz­ten Tagen eini­ge 40-Ton­ner mit Lebens­mit­teln auf den Weg nach Lviv schi­cken kön­nen. Zwar war es dies­mal etwas schwie­rig, Spe­di­tio­nen zu fin­den, aber am Ende haben wir gute Lösun­gen gefunden.

Wer küm­mert sich bei den Kapu­zi­nern um die Beschaf­fung der Güter?
Dar­um küm­me­re ich mich. Ich habe durch mei­ne Begeg­nun­gen in der Ukrai­ne gute Kon­tak­te, die mir genau sagen, was zur­zeit wo benö­tigt wird. Das sind die Men­schen im Pries­ter­se­mi­nar, wo ich immer über­nach­ten durf­te. Und die Mal­te­ser, bei denen ich am Bahn­hof bei der Ver­sor­gung der Flüch­ten­den mit­ge­hol­fen habe. Nur was wirk­lich gebraucht wird, besor­ge ich. Ich wer­de die­se Koor­di­na­ti­on auch in Zukunft machen, selbst wenn ich wie geplant am 1. August nach Alba­ni­en gehe. Wir wer­den die Men­schen in der Ukrai­ne lang­fris­tig unter­stüt­zen, was dank unse­rer groß­zü­gi­gen Spen­de­rin­nen und Spen­der gut mög­lich ist. Ich bin sehr dank­bar dafür. Ich wer­de von Br. Moritz unter­stützt, mit dem ich ja zu Beginn in der Ukrai­ne war und der nun sein Stu­di­um in Müns­ter begon­nen hat. Er küm­mert sich um die Spen­de­rin­nen und Spender.

Was ist denn bis­her an Hilfs­gü­tern in die Ukrai­ne gebracht worden?
Was mit einem klei­nen Trans­por­ter gestar­tet ist, hat sich wirk­lich toll ent­wi­ckelt. Bis­her sind acht 40-Ton­ner in der Ukrai­ne ange­kom­men, die ich ver­mit­teln konn­te. Der ers­te Trans­port hat­te unter­schied­li­che Güter gela­den, medi­zi­ni­sches Mate­ri­al, Lebens­mit­tel, Roll­stüh­le. Dann wur­den uns eini­ge Lkw mit Auf­back­bröt­chen ange­bo­ten. Ein Lkw nur mit medi­zi­ni­schen Gütern folg­te, dann einer mit Buch­wei­zen. Nun ste­hen hier wie­der ver­schie­de­ne Palet­ten mit Lebens­mit­teln, Was­ser und Hygie­ne­ar­ti­keln und war­ten auf die Verladung.

Was pas­siert mit den Gütern, wenn der Lkw in Lviv ange­kom­men ist?
Der Last­wa­gen lädt in Lviv die meis­ten Güter beim Pries­ter­se­mi­nar ab, eini­ges wird zu den Mal­te­sern gebracht. Dann wird es von dort klein­tei­lig im Land an die Stel­len gebracht, wo es gebraucht wird. Wir haben ja per­sön­lich vor eini­gen Mona­ten zwei Klein­bus­se in die Ukrai­ne gefah­ren, die dort nun zum Bei­spiel für die­se Zwe­cke und den Trans­port von Ver­wun­de­ten ein­ge­setzt werden.

Wie ist aktu­ell die Situa­ti­on in Lviv, was hören Sie?
Die Lage ändert sich schnell, in Wel­len. Immer wie­der ver­stär­ken die Rus­sen den Ter­ror im Osten, und dann kom­men aus die­sen Gebie­ten auch wie­der mehr Men­schen. Aus Donezk, Luhanzk, aber auch wie­der aus Char­kiw. Aus den Gebie­ten, die schon lan­ge beschos­sen wer­den, kommt nie­mand mehr. Ruhig ist es den­noch nicht, denn es sind ja wahn­sin­nig vie­le Geflüch­te­te vor Ort. Wir unter­stüt­zen da die Insti­tu­tio­nen, die die­sen Men­schen hel­fen. Klös­ter, die Mal­te­ser und auch pri­va­te Initia­ti­ven. Vor eini­ger Zeit habe ich außer­dem die drin­gen­de Bit­te bekom­men, mög­lichst vie­le Hilfs­gü­ter nach Lviv zu schi­cken, da die Flä­chen­bom­bar­de­ments zuge­nom­men haben und auch der Wes­ten der Ukrai­ne immer stär­ker unter Beschuss gerät. Wir ver­su­chen aus die­sem Grund zur­zeit, ein paar Vor­rä­te auf­zu­bau­en, so dass die Men­schen bei stär­ke­ren Kriegs­hand­lun­gen, selbst wenn kei­ne Hilfs­gü­ter mehr ins Land gebracht wer­den kön­nen, zumin­dest eini­ge Zeit ver­sorgt wer­den können.

Wie ist denn die Stim­mung im Priesterseminar?
Es ist schwer für die jun­gen Män­ner dort. Die psy­chi­sche Belas­tung ist rie­sig. Auf der ande­ren Sei­te hilft es, unse­re Hilfs­gü­ter von den Lkw abzu­la­den und zu ver­tei­len. Die­se Arbeit ist wich­tig und lässt manch­mal die Hilf­lo­sig­keit und Angst ein wenig vergessen.

Die­ser Krieg dau­ert schon Mona­te. Hier im Wes­ten hat man fast das Gefühl, dass sich man­che damit abge­fun­den haben. Wie ist das vor Ort?
Die Schre­ckens­mel­dun­gen aus dem Osten der Ukrai­ne belas­ten die Fami­li­en sehr. Vie­le Fami­li­en haben ihre Ange­hö­ri­gen ver­lo­ren, die als Sol­da­tin­nen und Sol­da­ten kämpf­ten. Vie­le sind trau­ma­ti­siert und es gibt zu wenig Psy­cho­lo­gen vor Ort. Und die weni­gen Psy­cho­lo­gen fal­len mit der Zeit aus, weil die Belas­tung zu hoch ist. Die­ses Pro­blem ist rie­sig, wird sich noch ver­stär­ken und es gibt kei­ne Lösung. Ich habe den­noch die Hoff­nung, dass die vor­han­de­nen Sozi­al­struk­tu­ren etwa in den Groß­fa­mi­li­en eini­ges auf­fan­gen kön­nen. Und natür­lich der tie­fe und fes­te christ­li­che Glaube.

Wie hat Sie die Zeit in Lviv verändert?
Oft hal­te ich es hier in Deutsch­land nicht mehr aus. Die­ses Klein­ka­rier­te, das Büro­kra­ti­sche, mir fehlt oft das Ver­ständ­nis dafür. Wenn ich an die Pro­ble­me in der Ukrai­ne den­ke, wirkt vie­les ande­re unwich­tig. Ein zwei­ter Punkt, der mir wich­tig ist: Ich tref­fe hier in Deutsch­land auf eine wei­te­re Grup­pe von Geflüch­te­ten, die schon seit Jah­ren hier ist: Men­schen, die zwi­schen 2015 und heu­te aus Afri­ka, Afgha­ni­stan, Syri­en und vie­len ande­ren Län­dern die­ser Welt gekom­men sind. Vie­le von ihnen haben stark unter Krieg und Ter­ror oder rus­si­schen Bom­ben gelit­ten, wie die Men­schen aus der Ukrai­ne. Und doch wer­den sie nicht gleich­be­han­delt, obwohl es alles Dritt­staa­ten­flücht­lin­ge sind! Dass sie so eine Unge­rech­tig­keit in der Behand­lung erfah­ren, das beküm­mert mich sehr. Anders for­mu­liert: Es macht mich wütend. Wie die Syrer, Schwarz­afri­ka­ner und Afgha­nen hier behan­delt wer­den, ist men­schen­un­wür­dig. Dass es anders geht, sehen wir ja jetzt. Das muss sich ändern.

Wie geht es für Sie weiter?
In den nächs­ten Wochen wer­de ich mich aus­schließ­lich um die Ukrai­ne-Hil­fe küm­mern: Logis­tik, Güter besor­gen, Kon­takt hal­ten, Gel­der akqui­rie­ren, Pres­se­ar­beit. Im August wer­de ich nach Alba­ni­en zie­hen und von dort aus wei­ter für die Ukrai­ne arbei­ten. Gleich­zei­tig ist schon seit län­ge­rem geplant, rund um unse­re Mis­si­ons­sta­ti­on eine mobi­le Ambu­lanz aufzubauen.

Dan­ke für das Gespräch!

Das Inter­view führ­te Tobi­as Rauser. 

 

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